TTIP: Hebelt die Macht der Konzerne die Demokratie aus?
Das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen der Europäischen Union und den USA wird heiß diskutiert. Die einen hoffen, dass dadurch Wohlstand und Wachstum zunehmen, die anderen befürchten den Abbau von Umwelt- und Sozialstandards. Das „Chlorhähnchen“ ist zum Schlachtruf geworden.„Sollte das TTIP dazu führen, noch mehr wirtschaftliche Macht in den Händen weniger transnationaler Konzerne zu konzentrieren und demokratische Errungenschaften weiter zurückzudrängen, bleiben nur Protest und Widerstand.“ Dr. Brigitte Bertelmann, die Ökonomie-Referentin der EKHN, findet deutliche Worte. Sie bezieht sich auf die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, das sogenannte TTIP-Abkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership).
Seit Sommer 2013 verhandeln die Partner unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit. Angesichts der geopolitischen Ziele und der weitreichenden gesellschaftspolitischen Folgen, die weit über bisherige Handelsabkommen hinausgehen, kritisiert die Wirtschafts-Expertin Brigitte Bertelmann die Intransparenz dieses Prozesses. Denn die nationalen Parlamente, das Europaparlament und die Nichtregierungsorganisationen seien bis jetzt nahezu vollständig ausgeschlossen gewesen. Anliegen können zwar dem Bundeswirtschaftsministerium mitgeteilt werden, die Verhandlungen werden aber federführend von der EU-Kommission geführt.
Auf über 70 Prozent der US-Landwirtschaftsfläche werden gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut
Auch Dr. Maren Heincke, die Agrarreferentin der EKHN, äußert Bedenken, denn sie hat den Forderungskatalog der US-Agrarlobby eingehend unter die Lupe genommen: „Die US-Agrarlobby will, dass in Europa die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Produkte abgeschafft wird.“ Denn ein beträchtlicher Teil des landwirtschaftlichen Systems in den USA basiere auf gentechnisch veränderten Organismen, allein der Mais sei zu 93 Prozent gentechnisch verändert.
Bündnis sowie Diskussions- und Informationsveranstaltungen
Im Spätherbst werden die EU-Mitgliedsstaaten einen Vorschlag hinsichtlich des weiteren Vorgehens machen. Verbände und Organisationen, die eine differenzierte und kritische Haltung zu den Freihandelsabkommen TTIP und CETA vertreten, sind ebenfalls aktiv. So hat das Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN sich dem „Rheinland-Pfälzischen Netzwerk gegen TTIP“ angeschlossen. Zudem sind weitere Veranstaltungen geplant:
Am 11. Oktober haben sich Verbände auf dem Gutenbergplatz in Mainz gegen das Freihandelsabkommen TTIP ausgesprochen.
Am 12. November wird im Dekanat Ried über das Freihandelsabkommen diskutiert.
Ziele und mögliche Vorteile des Freihandelsabkommens TTIP
Ziel des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP ist es, den Handel zwischen den USA und der EU zu fördern. Ein Teil der Handelsbarrieren wie etwa in der Automobilindustrie würden fallen, einheitliche Regulierungen sollen die Geschäfte erleichtern. Bisher entstehen beispielsweise Mehrkosten, weil die PKWs für Europa mit orangefarbenen und für die USA mit roten Blinklichtern ausgestattet werden müssen. Technische Standards sollen durch TTIP vereinheitlicht und die Zölle zwischen den beiden Wirtschaftsräumen weitgehend abgeschafft werden. Zudem sollen amtliche Einschränkungen abgebaut, Normen für Zulassungsverfahren für Industriegüter gewährleistet und der Investitionsschutz sichergestellt werden. Dadurch erhoffen sich u.a. die chemische Industrie, der Maschinenbau und die Automobilbranche Umsatz- und Gewinnsteigerungen. Schätzungen zufolge sollen dadurch bis zu 110.000 neue Arbeitsplätze in der Bundesrepublik entstehen. Allerdings gibt es auch Studien, die geringe Wachstumsgewinne prognostizieren, bzw. Wohlstandverluste erwarten. Doch was veranlasst Gruppen und Verbände von Attac über den Deutschen Städte- und Gemeindebund bis zum Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN ihre Bedenken deutlich zu äußern?
Zentraler Punkt: Investitionsschutz mit weitreichenden Folgen für Demokratie, Umwelt und Soziales
Einer der zentralen Punkte der Kritiker bezieht sich auf den Investitionsschutz, der durch Schiedsgerichte gewährleistet werden soll. Ursprünglich war der Sinn eines Schiedsgerichtes, einen Unternehmer vor staatlicher Willkür (z.B. Enteignungen) zu schützen, wenn er viel Geld in eine Fabrik im Ausland investiert hat. Doch dies bezog sich vor allem auf instabile Staaten, die nicht nach rechtsstaatlichen Maßgaben funktionierten. So besteht beispielsweise seit 1959 ein entsprechendes Abkommen zwischen Pakistan und Deutschland. Der Unternehmer konnte sich bei Streitfragen an ein internationales Schiedsgericht wenden und war nicht auf ein Gericht des jeweiligen Landes angewiesen.
Die Kritiker befürchten bei Inkrafttreten von TTIP, dass Unternehmen die demokratisch ausgerichtete Bundesrepublik vor einem Schiedsgericht anklagen und Schadensersatz verlangen können, wenn das Parlament beispielsweise erhöhte Verbraucherschutz- und Umweltstandards beschlossen hat. Ein Schiedsgericht bietet nicht die Möglichkeit zur Berufung und Richter können die Öffentlichkeit von Teilen des Verfahrens ausschließen.
Kritiker des TTIP führen hier den Fall des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall ins Feld, dem Deutschland Milliarden zahlen musste, weil die Bundesregierung den Atomausstieg beschlossen hatte und damit der Wert der Kernkraftwerke gemindert wurde. Mit dem Dreh- und Angelpunkt „Investitionsschutz“ sind somit weitere Themen verknüpft, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden wie Fracking, kommunale Dienstleistungen oder Arbeitnehmerrechte.
Christliches Wertesystem beachten
Die promovierte Volkswirtin Brigitte Bertelmann fordert: „Demokratisch gewählte Parlamente müssen auch zukünftig die Weiterentwicklung und Verbesserungen von Sozial- oder Umweltstandards beschließen können, ohne dass diese als `nicht-tarifäre Handelshemmnisse´ betrachtet werden." Investitionsschutzbestimmungen, wie sie die vorliegenden Entwürfe vorsehen, könnten dies gefährden oder zur Aufweichung gesetzlicher Regelungen führen, wie dies beispielsweise bei einer früheren Klage von Vattenfall gegen die Stadt Hamburg der Fall war.
Dr. Hubert Meisinger, der Umweltpfarrer der EKHN, weist darauf hin, dass wirtschaftliches Wachstum nicht die alleinige Maßgabe sein solle, an der sich die Verhandlungspartner des TTIP ausrichten. Er betont: „Ich plädiere dafür, dass bei den Verhandlungen ein christlich geprägtes Wertesystem berücksichtigt wird, in dem Gerechtigkeit und Solidarität - auch in einem spannungsvollen Wechselverhältnis - eine wichtige Rolle spielen.“ Mit Blick darauf stellten die Bergpredigt und das Gebot der Nächstenliebe im Neuen Testament der Bibel wichtige Orientierungshilfen dar. Die wichtigsten Diskussionspunkte Rita Deschner, Ev. Medienahus Frankfurt am Main