Sonntagsarbeit: „Leipziger Urteil hilfreich für Diskussion um Sonntagsschutz“
Leipzig / Darmstadt, 26. November 2014. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) wertet die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig zur Sonntagsarbeit als Teilerfolg und sieht sie als hilfreich für die weitere Diskussion zum Thema an. Die Leipziger Richter hatten am Mittwochabend die hessische Bedarfsgewerbeverordnung in Teilen für unrechtmäßig erklärt, die Sonntagsarbeit verstärkt möglich machen soll. Die Leipziger Richter waren der Revisionsklage der Hessischen Landesregierung zur Sonntagsarbeit nur teilweise gefolgt. Damit sind in Hessen Regelungen nicht mehr wirksam, nach denen beispielsweise in Videotheken, Bibliotheken, Callcentern oder Lotto- und Toto-Annahmestellen auch an Sonn- und Feiertagen gearbeitet werden darf. Dagegen verwies das Gericht die Frage nach der Herstellung von Getränken oder Speiseeis an Sonn- und Feiertagen zur Klärung wieder an den hessischen Verwaltungsgerichtshof. Die Leipziger Entscheidung gilt als Grundsatzurteil und wird voraussichtlich eine bundesweite Diskussion über die Bedeutung des Sonntagsschutzes auslösen, da fast alle Länder ähnliche Verordnungen besitzen.Ursprünglich hatten die südhessischen evangelischen Dekanate Darmstadt-Stadt und Vorderer Odenwald gemeinsam mit dem Landesbezirk Hessen der Gewerkschaft verdi als Mitglieder der „Allianz für den freien Sonntag“ eine Klage gegen die Regelungen angestrengt. Zunächst hatte der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel im September 2013 die Bedarfsgewerbeverordnung in weiten Teilen für unwirksam erklärt. Sie habe vor allem die im Grundgesetz verankerte Sonntagsruhe nicht genügend berücksichtigt. Daraufhin legte das Land Hessen beim Bundesverwaltungsgericht Revision ein.
„Wir begrüßen, dass das Bundesverwaltungsgericht sich intensiv mit Fragen des Sonntagsschutzes auseinandergesetzt hat. Das Urteil ist hilfreich für die weitere Diskussion rund um die Zukunft unserer Sonn- und Feiertage“, sagte die Stellvertreterin des Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Ulrike Scherf. Nach Scherfs Worten sind Sonntage und Feiertage dazu da, „sich zu erholen, zu besinnen und gemeinsame Zeit zu verbringen“. Sie seien wichtig für den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Familien litten beispielsweise besonders unter flexiblen Arbeitszeiten und fänden immer weniger Zeit füreinander. „Bei allen berechtigten Interessen der Wirtschaft haben die Bedürfnisse der Menschen Vorrang“, sagte Scherf. Sie warnte vor einer „Durchökonomisierung des Alltags“. Scherf: „Gerade der Sonntag erinnert daran, dass Menschen nicht nur zur Arbeit geschaffen sind und unsere Würde nicht an unserer Leistung hängt. Wir brauchen die heilsame und gemeinsame Unterbrechung am Sonntag, um uns auf das Wesentliche im Leben zu besinnen.“
„Es ist ein guter Tag für den Sonntagsschutz“, sagt Dr. Michael Vollmer, Präses des Evangelischen Dekanats Vorderer Odenwald und Facharzt für Arbeitsmedizin, nach der Urteilsverkündung in Leipzig, „insbesondere, weil das Gericht die hessischen Regelungen für die Sonntagsarbeit in Callcentern glatt für unwirksam erklärt hat.“ Davon wären viele Menschen betroffen gewesen, so Vollmer, und die schwammigen Formulierungen hätten Tür und Tor für Sonntagsarbeit in weiten Teilen des Dienstleistungsgewerbes öffnen können. Vollmer wertet die Entscheidung in den Bereichen, die in Hessen überarbeitet werden müssen, als „großen Erfolg, da der Verordnungsgeber nun aufgefordert ist, genau nachzuweisen, unter welchen Bedingungen die Sonntagsarbeit in diesen Bereichen notwendig sein soll“. Dem Urteil komme eine bundesweite Bedeutung zu, da nun auch vergleichbare Regelungen in anderen Bundesländern angepasst werden müssten. Die stellvertretende Dekanin des Dekanats Darmstadt-Stadt, Barbara Themel-Reith erklärte nach der Urteilsverkündung: „Das Urteil wertet den Sonntagsschutz wieder auf, nachdem dieser durch die Bedarfsgewerbeverordnung in Hessen empfindlich eingeschränkt werden sollte“.
Bereits 2012 hatte die Kirchensynode der EKHN die Hessische Landesregierung aufgefordert, die Bedarfsgewerbeverordnung zurückzunehmen. In dem Beschluss hieß es, dass arbeitsfreie Sonn- und Feiertage dem Menschen und der Gesellschaft dienten, „indem sie gemeinschaftliches Handeln in Familie, Freundeskreis, Kirche und Verein ermöglichen und dadurch soziale Beziehungen stärken, die für ein friedvolles Zusammenleben unerlässlich sind“.
Die EKHN gehört unter anderem mit ihren Dekanaten Darmstadt-Stadt und Vorderer Odenwald zu den Gründungsmitgliedern der „Allianz für den freien Sonntag Hessen“. Seit 2010 tritt der Zusammenschluss aus vornehmlich kirchlichen und gewerkschaftlichen Mitgliedern für den Schutz des Sonntags ein. Die überparteiliche Allianz stellt sich nach eigenem Bekunden gegen die zunehmende Entwicklung zu einer „Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft“ und fördert den freien Sonntag als gemeinsamen „Zeitanker“ für die Menschen.
Pfarrer Volker Rahn, Pressesprecher der EKHN
(AZ: BVerwG 6 CN 1.13)