Integration von Flüchtlingen auf dem Land. Unterstützungsstrukturen der EKHN für ehrenamtliche Flüchtlingsbegleiter
Integration von Flüchtlingen auf dem LandUnterstützungsstrukturen der EKHN für ehrenamtliche Flüchtlingsbegleiter
von Dr. Maren Heincke, Referentin für den ländlichen Raum im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN)
Es gibt eine potentiell hohe ehrenamtliche Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen in der Bevölkerung – auch in den ländlichen Räumen. Neben den bereits seit Langem etablierten Ehrenamtsstrukturen entstehen derzeit teilweise ganz neue Formen der Zivilgesellschaft. Viele der aktuellen Flüchtlingsbegleiter gehören z. B. zur Altersgruppe der jungen Erwachsenen.
Die EKHN unterstützt ehrenamtliche Flüchtlingsbegleiter durch Ausbildung, Begleitung und Koordinierung des Ehrenamtes. Dabei wird in der EKHN vom Grundsatz ausgegangen, dass qualifiziertes Ehrenamt immer die Begleitung durch qualifiziertes Hauptamt benötigt.
Ausbildung von ehrenamtlichen Flüchtlingsbegleitern
Ein gutes Beispiel für einen Ausbildungskurs zum ehrenamtlichen Flüchtlingsbegleiter findet im Evangelischen Dekanat Alsfeld im stark ländlich geprägten Vogelsbergkreis statt. Das Referat Erwachsenenbildung (Ralf Müller) hat innerhalb von zwei Jahren 70 Ehrenamtliche ausgebildet. Der dritte Kurs läuft im Frühjahr 2016 an. Entscheidend für den Erfolg der Kurse ist u. a. die regionale Akteursvernetzung. Die Kursinhalte werden arbeitsteilig durch Wohlfahrtsverbände (Caritas, Diakonie), evangelische und katholische Kirche, Vereine wie pro Asyl sowie verschiedene Bildungsträger wie z. B. der Volkshochschule angeboten.
Das Kursangebot umfasst fünf zweistündige Abendtermine sowie ein Wochenendseminar. Die Kursinhalte sind breit gefächert. Inhalte sind u. a. die Aufklärung über Fluchtursachen, Asylrecht, Sozialrecht, Gewalt und Traumata, Grenzen des Ehrenamtes, Begegnung mit regionalen Beratungseinrichtungen der Flüchtlingsarbeit. Die Kursteilnehmer erhalten ihren Teilnehmerbeitrag beim anschließenden ehrenamtlichen Einsatz vollständig erstattet. Die Finanzierung der Ehrenamts-Ausbildung erfolgt über den EKHN-Flüchtlingsfond, den Caritasverband des Bistums Mainz sowie dem Bundesförderprogramm „Demokratie leben“.
Hauptamtliche Begleitung von ehrenamtlichen Flüchtlingsbegleitern
Nach der Grundqualifizierung bestehen Hospitationsmöglichkeiten bei erfahrenen Flüchtlingsbegleitern. Durch ein kontinuierliches Fortbildungs- und Beratungsangebot soll verhindert werden, dass eine Überforderung der Ehrenamtlichen geschieht. Unter anderem gibt es eine kollegiale Begleitung und Beratung in einem Team aus Ehren- und Hauptamtlichen der Flüchtlingsarbeit. Hauptamtliche bieten ein professionelles Konfliktmanagement an. Es findet eine Qualitätssicherung im Umgang mit sensiblen Problemstellungen wie z. B. Traumata statt. Ehrenamtlichen der Flüchtlingsarbeit vermittelt die EKHN-Ehrenamtsakademie außerdem eine kostenlose Supervision.
Hauptamtliche Koordinierung der Ehrenamtlichen
Die EKHN stellt außerdem vielerorts hauptamtliches Personal bereit, um eine professionelle Koordinierung der Ehrenamtsstrukturen in der Flüchtlingsarbeit auf der regionalen Ebene sicher zu stellen. Ein Beispiel dafür ist die Theologin Andrea Alt, die mit einer halben Stelle im teilweise stark ländlichem Landkreis Darmstadt-Dieburg als Ehrenamtskoordinatorin tätig ist. Die Finanzierung erfolgt über die EKHN sowie dem Landkreis. Die Angebote der Koordinierungsstelle reichen von thematischen Fortbildungen für Ehrenamtliche über den Aufbau einer umfassenden Adressdatei der Ehrenamtlichen sowie Verweisungsstrukturen. Regelmäßig werden Netzwerktreffen der Asylkreise in den verschiedenen Regionen des Landkreises organisiert. Die Homepage www.netzwerk-asyl.net dient der zentralen Steuerung von Informationen. Die Koordinatorin ist außerdem die Schnittstelle zwischen Kreis, Kommunen, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Ehrenamtlichen. Die zu bearbeitenden Themen reichen von Sprachkursen über Kitas bis hin zu Wohnen und Arbeitsmarktintegration. Die professionelle Koordinierung des Ehrenamtes verhindert viel Doppelarbeit und unproduktive Doppelstrukturen. Sie dient dem Know-How-Transfer und entlastet dadurch stark das Ehrenamt.
Politische Bildung
Die EKHN bietet fast flächendeckend Vortrags- und Diskussionsabende zum Thema Flucht und Asyl an. Denn u. a. hängt das ehrenamtliche Engagement stark vom gesamtgesellschaftlichen Klima gegenüber der Integration von Flüchtlingen ab. Wichtig ist dabei, dass ein Klima der Offenheit und dialogorientierte Kommunikation geschaffen wird. Ehrliche Bürgerinformation, das Benennen realer Integrationsprobleme und gravierender Kulturunterschiede sowie das Ernstnehmen von Ängsten der Bürger und Verantwortungsträger sind dabei entscheidend. Ängste dürfen jedoch nicht als scheinbare Legitimation für menschenfeindliche Stimmungsmache missbraucht werden.
Der intensive Diskurs über gesamtgesellschaftliche Werte etc. kann tatsächlich einen tiefer gehenden Dialog darüber auslösen, wie die deutsche Gesellschaft nicht bloß mit Integrationsfragen umgehen will sondern wie drängende Zukunftsfragen insgesamt angegangen werden sollen. Grundlegende Werte wie die personelle Würde eines jeden Menschen, die Einhaltung der Menschenrechte, Religionsfreiheit oder die Gleichberechtigung von Frauen und Männern sind dabei nicht verhandelbar. Basis-Alltagsnormen sind ebenfalls nicht neu auszuhandeln.
Es stellen sich jedoch grundsätzliche Fragen über die Zukunft der Arbeit, des Wohnens, der Mobilität, der Bildung, etc.. Ein gegenseitiges Ausspielen unterschiedlicher sozial schwacher Gruppen ist dabei unbedingt zu vermeiden. Generelle Politikverdrossenheit und destruktive Pauschalkritik kann sich die deutsche Gesellschaft nicht erlauben, wenn die Integration großer Flüchtlingsgruppen gelingen soll. Demokraten müssen sich gegen linken und rechten Populismus und Radikalismus gleichermaßen wehren. Allerdings gehört zu diesem Dialog die ehrliche Benennung tiefer gesellschaftspolitischer Zielkonflikte: Idealismus versus demokratischen Pragmatismus und realen Ressourcenbegrenzungen, individuelle Schicksale versus formalisierte rechtliche Rationalität. Ohne die Sicherung des Rechtsfriedens droht ein rabiates Auseinanderdriften der Gesellschaft. Das Recht ist jedoch ein sehr hohes Gut - es schützt den Schwachen in Deutschland. Ohne Gesetzestreue gilt das Faustrecht des Stärkeren. Fragen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit müssen von allen wichtigen gesellschaftlichen Akteuren aktiv gelebt und diskutiert werden, wenn die Verbindlichkeit gesellschaftlicher Werte nicht eingebüßt werden soll.
Politische Vernetzung von Demokraten
Die Wirksamkeit von Vernetzungsstrukturen demokratischer Akteure kann durch die Einbeziehung wichtiger politischer Entscheidungsträger und sonstiger regionaler Schlüsselpersonen verstärkt werden. Ein Beispiel dafür ist das gemeinsame Projekt „Gemeinde trifft Gemeinde“ des Zentrums Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN (Maren Heincke) und des Hessischen Städte- und Gemeindebundes (Bernd Klotz). Fast alle Bürgermeister im Landkreis Darmstadt-Dieburg trafen im November 2015 die örtlichen Dekane, Gemeindepfarrer, das regionale Diakonische Werk sowie den LEADER-Regionalmanager und diskutierten über Flüchtlingsfragen. Ein Ergebnis dieses Dialogs war eine gemeinsame Stellungnahme gegenüber der Hessischen Landesregierung. Darin wurde u. a. angesichts der großen Herausforderungen der Kommunen und Kirchen ein pragmatischer Umgang mit Standards und gesetzlichen Vorgaben für einen Übergangszeitraum gefordert. So seien die Betreuungsschlüssel in den Kitas, baurechtlichen Vorgaben und Ausschreibungsrechtlichen Bestimmungen zu verändern. Kirche und Kommunen forderten dabei von der Landesregierung Rechtssicherheit für die Verantwortlichen in den Gemeinden. Außerdem erhoben sie die Forderung, dass angesichts der großen und sehr lang anhaltenden Herausforderungen durch die Flüchtlingskrise viele z. Z. noch durch das Ehrenamt provisorisch abgedeckte Aufgaben strukturell in hauptamtlich finanzierte Strukturen überführt werden sollten.
Beteiligung von Flüchtlingen: Ressourcen- statt Defizitorientierung
Die EKHN vertritt ein realistisches, respektvolles Menschenbild, was die Grundlage für die ehrenamtliche Arbeit mit Flüchtlingen bildet. Flüchtlinge werden weder moralisch überhöht noch abgewertet. Dabei wird klar darauf geachtet, vor allem auf die vorhandenen Ressourcen der Menschen zu achten und nicht ständig nur auf bestehende Defizite hinzuweisen. Flüchtlinge sind selbständige Menschen mit eigenem Willen und Zielen - Subjekte. Sie dürfen deshalb nicht zu scheinbaren Objekten von ehren- oder hauptamtlichen Hilfsstrukturen werden. Flüchtlinge sollten nicht durch monatelanges Nichtstun hospitalisiert oder infantilisiert werden. Jede Möglichkeit, dass Flüchtlinge selber ihren Alltag durch Mitarbeit mitgestalten können beim Putzen, Kochen, Außengestaltung von Gelände etc. sollten genutzt werden. Auch die Nutzung der Selbsthilfepotentiale ist sehr wichtig – z. B. bietet der Bundesfreiwilligendienst entsprechende Möglichkeiten an.
Viele Flüchtlinge weisen formal gesehen eine sehr schlechte Schul- und Berufsausbildung auf. Viele dieser jungen Menschen haben jedoch eine hohe Lernmotivation, da sie eine Chance zum Aufbau eines neuen Lebens sehen. Allerdings gibt es oft erhebliche Schwierigkeiten bei der Ausbildung von Flüchtlingen, da sie den beruflichen Anforderungen nicht entsprechen oder die Bedeutung einer Berufsausbildung nicht richtig erkennen. Die EKHN bietet deshalb viele niederschwellige Begegnungs- und gemeinnützige Beschäftigungsmöglichkeiten an sowie erste Zugänge zu Praktika, Ausbildung und Arbeit. Ehrenamtliche Ausbildungspaten unterstützen teilweise Flüchtlinge dabei.
Gelder der EKHN für die Flüchtlingsarbeit
Die EKHN-Landessynode hat im November 2015 beschlossen, aus bereits erwirtschafteten EKHN-Rücklagen bis 2025 20 Millionen Euro für die Flüchtlingsintegration bereit zu stellen. Die Arbeit umfasst mehrere Bausteine: Ausbau der professionellen Flüchtlingsberatung, bessere Vernetzung und Qualifizierung von Haupt- und Ehrenamtlichen, Flüchtlingsfonds für die Arbeit in den Kirchengemeinden und Dekanaten sowie Gelder für qualifizierende Maßnahmen in den 600 EKHN-Kindertagesstätten. Die bereits bestehenden EKHN-Bereiche interreligiöse und interkulturelle Dialog und Qualifizierung werden weiter intensiviert. Das Ehrenamt wird in den bisher bewährten Strukturen weiterhin rechtlich abgesichert. Eine Fortführung erfolgreicher Formen der Anerkennungskultur ist zur dauerhaften Sicherung des ehrenamtlichen Engagements außerdem geplant. Februar 2016