Flächennutzung in Deutschland – ein brisantes Konfliktfeld
Größte Flächennutzer
Deutschlands größter Flächennutzer ist mit einem Anteil von 51,7 % die Landwirtschaft. Der Anteil der Waldfläche beträgt 30,6 %. Etwa 13,7 % der Fläche Deutschlands ist Siedlungs- und Verkehrsfläche – die allerdings nicht mit "versiegelter Fläche" gleichzusetzen ist, da auch Grünanlagen und Sportflächen dazu zählen (Statistisches Bundesamt 2015).
Ausufernder Flächenverbrauch
Entscheidend ist, dass sich während der letzten 60 Jahre die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland mehr als verdoppelt hat. Nach wie vor ist die Flächenneuinanspruchnahme extrem hoch. Im Durchschnitt betrug der tägliche Flächenverbrauch für Siedlung und Verkehr von 2011 bis 2014 69 Hektar. (Statistisches Bundesamt 2015). Zwar ist dies eine deutliche Reduktion gegenüber den Jahren 1997-2000, in welchen täglich 129 Hektar zulasten der Landwirtschaft „verbraucht“ wurden.
In Anbetracht dessen, dass dieser Flächenverbrauch zusätzlich zur insgesamt gewachsenen Siedlungs- und Verkehrsfläche hinzukommt, ist dies jedoch ein starkes Indiz für eine absolut nicht nachhaltige Boden- und Flächenpolitik in Deutschland. Zudem findet mit etwa 40 % ein überproportional großer Anteil des Flächenverbrauchs auf den besonders wertvollen Böden statt, was sich siedlungshistorisch erklärt. Menschen haben sich bereits früher auf den ertragsreichsten Flächen, an Flussläufen etc. angesiedelt. Europaweit wird jährlich eine Fläche in der Größe Berlins verbaut – diese Fläche könnte rd. 200.000 Personen ernähren.
Das Nachhaltigkeitsziel der Bundesregierung, bis 2020 „nur“ noch 30 Hektar Flächenneuinanspruchnahme zu erreichen, wird höchstwahrscheinlich nicht eingehalten. Dazu wäre eine radikale Trendwende nötig. Wirtschaftswachstum und Zuwanderung begünstigen dagegen neue Baugebietsausweisungen, wobei sich harte Fragen nach der Zukunftsfähigkeit ständig wachsender Ballungsräume und neuen potentiellen Ghetto-Bildungen durch Migranten stellen.
Flächenbereitstellung für Naturschutzzwecke
Die Naturschutzgebietsfläche entspricht 3,9 % und die Nationalparkfläche 0,60 % der deutschen Gesamtfläche. In beiden Schutzkategorien hat der Naturschutz eine Vorrangfunktion, weshalb menschliche Nutzungen wie Land- und Forstwirtschaft gesetzlich stark eingeschränkt werden können. Allerdings sind etwa 60 % aller Naturschutzgebiete kleiner als 50 Hektar, weshalb die kleinen Gebiete oft nicht ausreichende Pufferspielräume gegenüber negative Außenfaktoren wie Eutrophierung besitzen. Zudem wird laut Bundesnaturschutzgesetz ein Flächenanteil von zehn Prozent Naturschutzgebiete als Zielwert angestrebt. Angesichts des massiv fortschreitenden Biodiversitätsverlustes in Deutschland sind Aussagen zu angeblich „übertrieben“ hohen Flächenausweisungen für Naturschutzzwecke reine Stimmungsmache.
Ein reales Problem ist jedoch, dass für den Flächenverbrauch Kompensationsmaßnahmen durchgeführt werden müssen und nicht alle dieser Maßnahmen dem Natur- und Landschaftsschutz tatsächlich langfristig dienen. Bei den Kompensationsmaßnahmen sind sachbezogene Weiterentwicklungen sowie stärkere Nutzungen von Maßnahmen wie der Entsiegelung zwingend notwendig.
Überhitzter Bodenmarkt
Insgesamt sind während der letzten Jahre die Konflikte um Flächen massiv zugenommen. Die Pacht- und Landkaufpreise sind stark angestiegen. So haben sich die durchschnittlichen deutschen Pachtpreise zwischen 1999 und 2014 fast verdoppelt, wobei die Pachthöhe regional extrem unterschiedlich ist.
Zum Preisdruck hat der Ausbau der Erneuerbaren Energien beigetragen. Auch wenn die Größe der Flächennutzungen für Windkraftanlagen oder Photovoltaik-Freiflächenanlagen zunächst nicht groß erscheinen so sind sie doch ebenso Treiber für erhöhte Pachtpreise wie die Biogasanlagen. Im Jahr 2015 wurden auf 2,5 Millionen Hektar der 11,9 Millionen Hektar deutsche Ackerfläche Nachwachsende Rohstoffe zur energetischen oder stoffliche Nutzung angebaut. Aufgrund der auf 20 Jahre garantierten Einspeisevergütung für Biogasanlagen, können Biogasbetreiber deutlich höhere Pachtpreise zahlen als z. B. Milchviehhalter. Durch den Intensivierungsdruck wurde während der letzten Jahre zudem massiv ökologisch besonders wertvolles, artenreiches Grünland in Ackerland umgebrochen. Die Dauergrünlandfläche sank von 1991mit 5,3 Millionen Hektar auf 4,8 Millionen Hektar in 2014 (UBA 2015).
Da für die meisten landwirtschaftlichen Betriebe die Größe der Betriebsfläche entscheidend für den Betriebserfolg ist und im Durchschnitt ein Pachtflächenanteil von etwa 60 % vorliegt, hat sich die Konkurrenz der Landwirte um Pachtland deutlich verschärft. Es findet deshalb teilweise eine harte Entsolidarisierung unter den Landwirten statt. Bisher funktionierende bäuerliche Nachbarschaftshilfe wird so zerstört. In Frankreich haben sich viele Landwirte dagegen bereits zu Aussagen wie „Wir wollen landwirtschaftliche Nachbarn statt mehr Hektar Land“ durchringen können.
Pachtflächen für Ökolandbau oder Landschaftspflege sind kaum noch zu bekommen. Den teuer gepachteten Flächen werden möglichst hohe Erträge abgepresst, was zu Lasten einer nachhaltigen Bodenbewirtschaftung geht. In Regionen mit stark erhöhten Viehbesatzdichten oder großen Mengen an Gärsubstraten aus Biogasanlagen steigen die Nitratbelastungen des Grundwassers sowie die Eutrophierung der Oberflächengewässer aufgrund einer zu intensiven landwirtschaftlichen Nutzung sogar wieder an. Dies ist ein absolut negativer Trend der dortigen Landwirtschaft. Er steht diametral zu anderen Regionen in denen erfolgreiche und positive Kooperationsmodellen mit der Wasserwirtschaft betrieben werden.
Ein zusätzlicher Treiber dieser Entwicklung ist, dass seit Beginn der Finanzkrise 2008 zunehmend landwirtschaftsfremde Investoren Landwirtschaftsflächen aufkaufen. Ganz nach dem Motto „niedrige aber beständige Rendite“. Böden wurden als Kapitalanlage neu entdeckt.
Interessenskonflikte der Raumnutzer
Jenseits der Besitzverhältnisse gibt es zahlreiche Konflikte der Flächennutzung z. B. durch Freizeitnutzer, die den Vorrang von Naturschutz- oder Landwirtschaftsbelangen nicht mehr respektieren. Es gibt konfliktarme Raumnutzungsmöglichkeiten beim Radfahren, Wandern, Skaten etc.. Die Nutzungskonflikte häufen sich jedoch, weil sich beispielsweise Mountainbikefahrer überhaupt nicht mehr an Wegeregelungen halten und Wanderer massiv gefährden, Geocacher quer durch Naturschutzgebiete laufen und so geschützte Pflanzen zerstören oder Hundebesitzer ihre Hunde frei laufen lassen und dadurch wildlebende Tiere gehetzt werden. Landwirte klagen regelmäßig über Auseinandersetzungen auf landwirtschaftlichen Wegen. In dicht besiedelten Gebieten stellt dieser soziale Stress durch zu viele unterschiedliche Land- und Raumnutzungsansprüche ein echtes Problem dar.
Naturkörper Böden – viel mehr als bloße Fläche
Böden sind wesentlich mehr als zweidimensionale Flächen. Böden sind dreidimensionale Naturkörper. In ihnen wirken Atmosphäre, Lithosphäre, Hydrosphäre und Biosphäre zusammen. Die hiesigen Böden blicken oft auf über Zehntausend Jahre Entstehungsgeschichte zurück. Die Bodenregeneration und neue Bodenbildung ist gemessen am menschlichen Zeitverständnis enorm langsam. Deshalb gelten fruchtbare Böden als lebenswichtige, begrenzte, nicht vermehrbare und damit sehr kostbare Ressource.
Böden sind multifunktionell. Sie bilden nicht bloß die Standorte für Pflanzenwachstum. Böden reinigen und speichern Wassern und puffern so Hochwässer ab. Im Bodenhumus ist mehr Kohlenstoff gespeichert als in allen Wäldern der Welt zusammen. Damit spielen Böden in Hinblick auf den Klimawandel eine extrem wichtige Rolle. Böden wimmeln vor kleinsten Bodenlebewesen, welche pflanzliche Reste oder auch Schadstoffe umbauen. Über die Welt der Bodenmikroorgansimen ist noch verhältnismäßig wenig wissenschaftlich bekannt. Böden bieten zudem Lebensräume für zahlreiche Tiere und Pflanzen.
Böden sind hochkomplex – und damit auch empfindlich gegenüber schädliche Bodenveränderungen. Schleichende Wind- oder Wassererosion durch unzureichende Bodenschutzmaßnahmen, Bodenverdichtung durch Befahren mit zu schweren Landmaschinen oder Bodenkontaminationen durch Schadstoffeinträge gefährden die Multifunktionalität der Böden langfristig.
Eine besondere Problematik bei der Flächennutzung stellen Altlastenstandorte dar. Es gibt mehrere Hundertausende altlastenverdächtige Flächen. Allein schon die Abschätzung ihres jeweiligen Gefährdungspotentiales für Umwelt und menschliche Gesundheit ist häufig sehr kompliziert. Altlastensanierungen sind zudem oft extrem kostenintensiv, zumal sich die industriellen und gewerblichen Vornutzer regelmäßig aus jeder Verantwortung gestohlen haben. Bei den Altlasten zeigt sich exemplarisch, wie sehr eine umweltschädliche Nutzung der Böden auf viele Jahrzehnte hin Problem nach sich zieht und bis hin zur vollständigen Unnutzbarkeit der Böden führen kann.
Kirche als Landbesitzerin
Die evangelischen Landeskirchen sowie die katholischen Bistümer gehören mit zu den größten Landbesitzern in Deutschland. Daraus ergibt sich eine besondere Verantwortung zur ökologisch verträglichen Bodennutzung sowie sozial gerechten Verpachtungspraxis. Zudem könnten die Kirchen intensive gesellschaftspolitische Dialoge über eine nachhaltige Bodenschutz- und Flächenhaushaltspolitik führen.
Dr. Maren Heincke, Referat Ländlicher Raum