Zukunftsfähige kommunale Sozialpolitik ist verlässlich und ausreichend finanziert
„Vor Ort“ - das ist in der Kommune, im Stadtviertel und im unmittelbaren Lebensumfeld der Menschen: Dort werden die Auswirkungen politischer Entscheidungen konkret und spürbar.
Kommunale Daseinsvorsorge ist mehr als Straßen und Müllentsorgung. Die soziale Infrastruktur garantiert ein menschenwürdiges Leben für alle Bürgerinnen und Bürger. Gerade die vermeintlich „freiwilligen Leistungen“ entscheiden dabei über das „Wie“ und die Qualität der Angebote. Sie sind keine freiwillige Gabe an Bedürftige, auf die auch verzichtet werden könnte. Ist die ausreichende Finanzierung in wichtigen öffentlichen Bereichen nicht mehr möglich und wird auf individuelle Verantwortung und Vorsorge verwiesen, so spüren langfristig alle die negativen Konsequenzen. Mit Abstand am härtesten trifft es jedoch immer diejenigen, welche auf diese Angebote am meisten angewiesen sind, weil sie eben nicht über die Mittel verfügen, sich diese Leistungen privat zu erschließen.
Das zunehmende Auseinanderdriften der Gesellschaft betrachten viele Bürgerinnen und Bürgern mit Sorge: Kinderarmut, Jugendarbeitslosigkeit, Armut im Alter, massiver Mangel an bezahlbarem Wohnraum werden als drängende Probleme empfunden, die es zu lösen gilt. Wenn sich ein wachsender Anteil der Bevölkerung „abgehängt“ fühlt und das Vertrauen verliert in die Demokratie und die Fähigkeit der Politik, Probleme zu lösen, ist die Gefahr groß, dass radikale und polemische Parteien an den Rändern Zulauf bekommen – so wie wir es in Wiesbaden derzeit erleben. Es geht aber auch wichtiges bürgerschaftliches Engagement verloren und die Stadt als Ganzes verliert an Attraktivität. Eine funktionierende und ausgleichende kommunale Sozialpolitik, die Ungleiches ungleich behandelt, nutzt nicht nur den jeweils unmittelbar Betroffenen, sondern hat für die ganze Gesellschaft eine stabilisierende Funktion.
In Wiesbaden haben sich über 70 Träger, Verbände und Institutionen der sozialen Arbeit in großer Solidarität zusammengeschlossen, um Einsparungen zu verhindern. Ganz oben auf der Liste der zehn Forderungen steht eine krisenfeste Haushaltsführung. Die soziale Arbeit vor Ort lebt von Akzeptanz bei den Zielgruppen, die durch Dauerhaftigkeit und Verlässlichkeit erreicht wurde: in Kinder- und Jugendeinrichtungen oder der offenen Altenarbeit, aber auch bei Beratungseinrichtungen, die Menschen gerade in schwierigen oder neuen persönlichen Situationen aufsuchen. Gebraucht werden dort qualifizierte Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen, zu denen ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden kann und Orte, an denen Austausch und Miteinander möglich ist. Im Mittelpunkt muss immer der Mensch stehen. Solche Angebote gibt es nicht ohne ausreichende Finanzmittel. Nur mit einer soliden Grundfinanzierung kann zudem qualifiziertes Personal gewonnen und in Zeiten von gravierendem Fachkräftemangel auch gehalten werden. Nur so kann Fachkompetenz entwickelt werden.
Die entscheidende Frage lautet nicht, ob wir uns das leisten können. Sie muss lauten: Was brauchen wir? Was braucht unsere Gesellschaft und was jedes einzelne Mitglied? Sind wir bereit, diesen Preis zu zahlen, und was sind die Konsequenzen, wenn wir darauf verzichten? Gerade in dem zentralen Bereich der Sozialpolitik darf sich Politik nicht mit dem Verweis auf leere öffentliche Kassen und Haushaltskonsolidierungen zurückziehen und die Konsequenzen jedem und jeder Einzelnen überlassen. Die Kommunen, aber auch Land und Bund müssen hier ihrer Verantwortung gerecht werden. Das heißt auch, sie müssen für eine auskömmliche Finanzierung der Kommunen sorgen.
Eine kurzfristige und kurzsichtige Zerstörung sozialer Strukturen ist weder sozial hinnehmbar noch ökonomisch vertretbar. Was einmal kaputt ist, kommt uns alle am Ende alle teuer zu stehen.
Nicole Nestler ist Politikwissenschaftlerin und Referentin für gesellschaftliche Verantwortung bei der Evangelischen Kirche Wiesbaden.
Der Text ist als Gastbeitrag in der Fraktionsinfo von Die Linke in Wiesbaden in der Ausgabe März 2024 erschienen.