Agrogentechnik. Kein Instrument zur Hungerbekämpfung.
Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Hungerkatastrophe in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern dramatisch verschärft. Von 2007 bis 2009 stieg die Zahl chronisch unterernährter Menschen von 850 Millionen auf über eine Milliarde. Täglich sterben über 24.000 Menschen an den direkten Folgen des Nahrungsmangels. Hungerunruhen bedrohen die politische und wirtschaftliche Stabilität vieler Staaten und letztlich den Weltfrieden.Die Hungerkrise wird von einschlägigen Lobbyisten genutzt, die Meinung „Agrogentechnik“ könne die Probleme der Welternährung lösen, verstärkt zu verbreiten. Gemäß dem Motto: eine falsche - aber einfach gestrickte - Idee lässt sich durch ständige Wiederholung in der öffentlichen Meinungsbildung viel einfacher durchsetzen als eine richtige - jedoch komplexere - Idee.
Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit wie „Brot für die Welt“ kritisieren vehement die falschen GVO-Heilsversprechungen. Sie verweisen auf die tatsächlichen Hauptursachen der Mangelernährung wie Kriege, Armut, fehlendes Saatgut und Dünger, mangelhafte Infrastruktur, fehlende Rechtsstaatlichkeit und unzureichende Frauenrechte, Naturkatastrophen und unfaire weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen.
Die Weltbevölkerung wächst von derzeit 6,7 auf 9,3 Milliarden Menschen im Jahr 2050. Etwa 80 % aller weltweit produzierten Lebensmittel stammen aus Familienbetrieben. Starke Produktivitätssteigerungen der Landwirtschaft in den Hungergebieten werden dringend benötigt. Die FAO hat berechnet, dass mit Investitionen in die Landwirtschaft der Entwicklungsländer von jährlich 20 Milliarden Euro der Hunger zu beenden wäre, ein Bruchteil der staatlichen finanziellen Interventionen im Rahmen der Wirtschaftskrise. Doch der internationale politische Wille fehlt.
Ertragszuwächse ließen sich durch standortangepasste, nachhaltige Anbaumethoden erreichen. Ertragreiche moderne Pflanzensorten sollten die bestehende Vielfalt aus traditionellen Sorten ergänzen.
Die Behauptung, die „Agrogentechnik“ könne einen erheblichen Beitrag zur Hungerbekämpfung leisten, greift viel zu kurz. Eher ist das Gegenteil zu befürchten:
• Umweltfaktoren wie die Wasser- und Nährstoffverfügbarkeit limitieren zumeist die Ertragshöhe. Deshalb sind Ertragssteigerungen nur durch GVO-Einsatz kaum zu erwarten.
• Die Ursprungszentren der Kulturpflanzen liegen zu über 90 % in den Tropen und Subtropen. Beim Anbau von GVO-Pflanzen kann durch Auskreuzungen die Biodiversität dieser Zentren massiv geschädigt werden.
• Weltweit sind 1,5 - 2,0 Milliarden Kleinbauern auf den Nachbau des eigenen Saatguts existentiell angewiesen. GVO-Saatgut ist jedoch durch Patente vom Nachbau ausgeschlossen. Private Unternehmen halten über 80 % aller Biopatente. Fünf multinationale Agrarkonzerne teilen sich den weltweiten GVO-Saatgutmarkt auf.
• Den Entwicklungsländern mangelt es an den institutionellen und wissenschaftlichen Regulierungs- und Untersuchungskapazitäten, um die möglichen gesundheitlichen und ökologischen Risiken des GVO-Anbaus zu minimieren.
• Die Lebensmittelversorgung ländlicher Familien in Entwicklungsländern beruht zu mehr als der Hälfte auf „Unkräutern“ und Wildvegetation. Der Einsatz von herbizidresistenten GVO-Pflanzen und Totalherbiziden würde diese wichtigen Ernährungsgrundlagen zerstören. Zudem bedeutet der Einsatz von GVO-Pflanzen keineswegs automatisch eine Verbesserung beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, da sich Resistenzen bei Schädlingen und „Unkräutern“ bilden können.
• Aufgrund der höheren Preise für GVO-Saatgut haben Kleinbauern in Entwicklungsländern selbst bei höheren Erträgen nicht zwangsläufig einen Kostenvorteil.
Dr. Maren Heincke