Das Wettrennen um fruchtbares Ackerland hat begonnen.
Zurzeit sind 925 Millionen Menschen chronisch unterernährt. Und das obwohl die global produzierten Lebensmittelmengen alle Erdbewohner sättigen könnten. Täglich sterben 24.000 Menschen an den Hungerfolgen. Hunger hat sehr viele, überwiegend menschengemachte Ursachen. Konflikte um natürliche landwirtschaftliche Ressourcen sowie Finanzspekulationen mit Agrarrohstoffen gewinnen stark an Bedeutung.Neokolonialer Landraub
Die Ernährungskrise 2008 löste ein internationales Wettrennen um den Zugang zu fruchtbarem Ackerland samt guter Wasserversorgung in Entwicklungs- und Schwellenländern aus. Akteure dabei sind aufstrebende Wirtschaftsnationen wie China oder stark von Lebensmittelimporten abhängige Staaten wie Saudi Arabien. Deren Regierungen wollen sich zwecks nationaler Ernährungssicherung verstärkt von den Weltagrarmärkten unabhängig machen. Lebens- und Futtermittel sowie nachwachsende Rohstoffe lassen sie in Drittstaaten für sich produzieren, wofür sie riesige Landflächen kaufen oder langjährig pachten.
Der Beginn der Weltwirtschaftskrise im Sommer 2008 bedeutete nicht bloß eine fundamentale Erschütterung des bisherigen marktwirtschaftlichen Systems. Aus Sicht der Landwirtschaft konnte nicht länger verdrängt werden, dass es sich um eine multiple, in sich verflochtene Krise des gesamten Finanz-, Wirtschafts-, Umwelt-, Klima- und Ernährungssystems handelt.
Durch die globale Finanzkrise wurde Ackerland für die Finanzindustrie und ihr frei gewordenes vagabundierendes Kapital zur neuen interessanten Anlagemöglichkeit. Ertragreiches Land verspricht ein relativ niedriges, aber sicheres und kontinuierliches Renditepotential. Westliche Investment- und Hedge-Fonds, Banken wie Goldman Sachs und multinationale Agrarkonzerne beteiligen sich deshalb am spekulativen Landaufkauf.
Korrumpierte Regierungen unterzeichnen komplizierte und undurchsichtige Übernahmeverträge. Landrechtkonflikte und Landvertreibung ihrer eigenen kleinbäuerlichen Bevölkerung sind die Folge. Die mit dem Landausverkauf in Aussicht gestellten Arbeitsplätze und Infrastrukturinvestitionen in Entwicklungsländern bleiben zumeist aus.
Der UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung, Olivier de Schutter sowie Menschenrechtsaktivisten sprechen von neokolonialen Landraub („Land Grabbing“). Es wird geschätzt, dass in den letzten Jahren in Afrika, Lateinamerika, Osteuropa und Asien mindestens 45 Millionen Hektar Ackerfläche an ausländische Investoren verkauft oder verpachtet wurde. Die entstandenen internationalen politischen Initiativen zur Regulierung dieser Landverscherbelung sind noch zu jung, um echte Erfolge verzeichnen zu können.
Spekulation mit Agrarrohstoffen
In den Jahren 2007/2008 sowie besonders deutlich 2010 verstärkten Spekulationen mit Agrarrohstoffen die drastischen Preissprünge und Preiseinbrüche an den Weltagrarmärkten. 2008 war das Kontraktvolumen für Agrarrohstoffe an den Börsen in Chicago und New York etwa doppelt so hoch wie 2005. Im Jahr 2010 gab es verschiedene Berg- und Talfahrten bei den Weltagrarpreisen z. B. für Zucker. Nachdem Russland im Sommer aufgrund von Ernteausfällen ein Exportverbot für Weizen erließ, schossen die Weltgetreidepreise in die Höhe. Zum großen Teil war dieser Hype rein auf Finanzspekulationen zurückzuführen, bei denen mit sehr großen Summen in die Agrarmärkte eingestiegen, künstlich Knappheit erzeugt und so die Agrarpreise nach oben getrieben wurden. In der Realwirtschaft waren die Weltgetreidevorräte für 2010 völlig ausreichend.
Die von den Finanzmärkten ausgelösten Turbulenzen auf den Nahrungsmittelmärkten treffen die Bevölkerung in Entwicklungsländern existenziell. Scheinbar abstrakte, virtuelle Preissprünge an den Rohstoffbörsen bedeuten für Arme, die oft über die Hälfte ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen, ganz konkret eine Mahlzeit weniger pro Tag. Die entsprechenden Akteure an den Finanzmärkten sind mitverantwortlich für die Verschärfung der Hungerkrise.
Inzwischen gibt es erste politische Aktivitäten zur Eindämmung der Spekulation mit Lebensmitteln.
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Langfristig ist mit dauerhaft erhöhten und stark schwankenden Weltagrarpreisen zu rechnen. Die Lebensmittelpreise sind wegen der Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen als Energieträger an die internationalen Erdölpreise gekoppelt. Umso wichtiger ist die öffentliche Lagerhaltung von Getreide, die eine Pufferfunktion übernehmen kann. Für landwirtschaftliche Betriebe sind neue Formen des Risikomanagements notwendig.