Erntedank. Alles braucht seine Zeit
Das Erntedankfest ist das einzige Fest im Kirchenjahr, das sich direkt auf den Jahreslauf der Natur bezieht. In Deutschland liegt es im Kirchenjahr am ersten Sonntag nach Michaeli. Seit den frühesten Kulturformen gibt es den rituellen Dank für die Ernte. Beim Erntdankfest schmücken Erntegaben wie Gemüse, Obst undGetreide die Kirchenaltäre. Gottes "gute Gaben" werden so von den Gebern ritualisiert am Altar zurückgeschenkt. Oftmals werden diese Gaben nach dem Gottesdienst an bedürftige Einrichtungen verteilt. Aktuelle Fragen nach globaler Gerechtigkeit und Unterernährung werden im Rahmen des Gottesdienstes traditionell gestellt. Im Gottesdienst wird Gott für "die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit" gedankt. Früher bezog sich dieser Dank an Gott überwiegend auf die eingefahrene Ernte. Der allgemeine Dank für die empfangene Lebensfülle sowie die Klage um erfahrene Lebensleere war jedoch stets im Blick. In Deutschland sind nur noch wenige Menschen direkt in der Landwirtschaft tätig (2 –3 % der Erwerbstätigen). Deshalb ist das Erntedankfest in seiner stark an der Landwirtschaft ausgerichteten Form Teil einer langsam schwindenden bäuerlichen Kultur. Die zum Teil stattfindende neumodische Verkürzung auf den Begriff „Erntefest“ lässt das Wesentlichste weg - den Dank. Das Erntedankfest wird breiteren Gesellschaftsgruppen zugänglicher, wenn der Dank für die „menschliche Arbeit“ nicht bloß die agrarische Tätigkeiten sondern auch die vielen anderen Dimensionen der menschlichen Arbeitsleistung mit einbezieht. Gleichzeitig ist es wichtig, ausdrücklich die Wertschätzung für die große Arbeitsleistung der Landwirte hervorzuheben. Sie sind es, die mit ihrem Einsatz den Rahmen schaffen, in dem die Pflanzen und Tiere gedeihen können. Sie versorgendie Bevölkerung mit hochqualitativen Lebensmitteln und erfahren oft wenig gesellschaftliche Anerkennung dafür. In den Diskussionen über EU- und sonstige Transferzahlungen werden die gesellschaftlichen Beiträge der Landwirte zum Beispiel zum Erhalt der Kulturlandschaft wenig gewürdigt.
Das Erntedankfest hat zusätzlich umfassendere Bezüge zum Schöpfungsglauben. Es ist heute unter anderem ein gesellschaftlicher Gradmesser dafür, in wiefern sich die Menschen als Geschöpfe und Teile der Schöpfung verstehen. Das Bewusstsein des Menschen vom seinem eigenen Geschaffensein führt
zwangsläufig zum grundlegenden Bewusstsein seiner Abhängigkeit von der Natur.
Aus dem Schöpfungsglauben ergibt sich das ethische Verhältnis zu Tieren und
Pflanzen.
Der Mensch hat selbst da, wo er aktiv gestaltend tief in die Natur eingreift, lediglich
eine Teilhabe an der Schöpfung. Er kann Leben nicht selber erschaffen sondern
trägt lediglich Mitverantwortung. Gott allein schenkt Leben.