Was ist Klassismus - und warum geht es uns alle an?
von: Maxi Krambs (Evangelische Jugend Mainz), Katharina Adams (Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung)
„Peinlich, wer sich für die Schule gerade keinen Laptop leisten kann“ ist eine klassistische Beleidigung, die in einem TikTok-Video der Initiative what.politik als Beispiel für Klassismus angeführt wird. Die Initiative bereitet politische Themen für junge Menschen auf. Auch die EJHN, der Jugendverband der EKHN, widmet sich dem Thema Klassismus und fokussierte das Thema für ihre 45. Vollversammlung vom 8.-10. November 2024 unter dem Titel „Ist ja Klasse?“.
„Ich fand das Impulsreferat von Andreas Kemper sehr spannend, da ich zuvor mit dem Begriff Klassismus gar nichts anfangen konnte und mich auch noch nie damit auseinandergesetzt habe“, erzählt ein*e Teilnehmer*in der Vollversammlung. Um Stimmen und Stimmungen der anwesenden jungen Menschen einzufangen, war Maxi Krambs (Evangelischen Jugend Mainz) während der Vollversammlung als Reporter unterwegs und hat viele Eindrücke gesammelt. Katharina Adams (Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung) bot einen Workshop zu Klimagerechtigkeit und Klassismus an und wurde im Vorfeld von Kolleg*innen und Freund*innen mehrfach interessiert gefragt: Klassismus, was ist denn das eigentlich genau?
Francis Seeck, Professorin an der Hochschule Nürnberg, beschreibt Klassismus als eine Diskriminierungsform aufgrund sozialer Herkunft und sozialem Status, die besonders armutsbetroffene, arbeitslose oder wohnungslose Menschen sowie Arbeiter*innenkinder betrifft. Arbeiter*innenkinder sind Menschen, deren Eltern keine akademische Ausbildung haben - im Gegensatz zu sogenannten Akademiker*innenkindern. Klassismus ist als Diskriminierungsform, neben z.B. Rassismus und Sexismus, vielen eher unbekannt und bleibt damit häufig unsichtbar.
Das ist fatal, denn: Betroffenen Personen fehlt häufig das Wissen, wie sich Klassismus im Alltag zeigen kann. „Ich bin einfach nicht gut genug, ich gehöre hier nicht hin“ – so oder so ähnlich sortieren Einzelne die Erlebnisse ein und erklären sich Situationen mit individuellem Versagen. Nicht betroffenen Personen fehlt ebenso häufig das Wissen um Klassismus – und die dazugehörigen negativen Erfahrungen. Hierfür zu sensibilisieren, Klassismus sichtbar und besprechbar zu machen ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Besonders auf struktureller Ebene ist dies relevant: Wer sitzt in Entscheidungsgremien, wer hat Zugang zu Macht? Wer entscheidet für wen - und wer traut sich machtvolle Ämter überhaupt zu? Dies gilt für Machtpositionen in der globalen Klimapolitik ebenso wie für diverse Besetzungen von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schlüsselpositionen auf allen Ebenen (beispielsweise haben ca. 85% der Bundestagsabgeordneten einen Hochschulabschluss). Die EJHN hat mit der Setzung als Hauptthema Klassismus sichtbar gemacht, ist dem eigenen Klassismus kritisch auf den Grund gegangen und ermöglichte durch den Input und diverse Workshops einen Raum zur Weiterbildung.
„Ich habe gelernt, dass ich laut Definition des Begriffs ein Arbeiterkind bin. Außerdem habe ich gelernt, wie viele Aspekte der Gesellschaft und generell meines Lebens von Klassismus geprägt sind“, berichtet ein*e Teilnehmer*in auf der Vollversammlung. Klassismus betrifft Menschen, die über wenig Kapital verfügen. Laut Bourdieu gibt es verschiedene Formen von Kapital: Einkommen oder Vermögen (ökonomisches Kapital), Bildungsabschlüsse (kulturelles Kapital) oder Beziehungen zu machtvollen Personen (soziales Kapital). Insbesondere die letzten beiden Formen sind oft wenig bekannt bzw. im Alltag bewusst. In den Workshops wurde dies aus verschiedenen Perspektiven genauer betrachtet. In Gesprächen mit den jungen Teilnehmenden wurde deutlich, dass sie insbesondere das Bildungssystem interessiert und bewegt. „Ich bin der Meinung, dass das Bildungssystem unbedingt überarbeitet werden muss“, resümiert ein*e Teilnehmer*in im Anschluss. Das Feedback der Teilnehmenden war überwiegend positiv und viele beschrieben das Thema und die Workshops als interessant und spannend. „Ich hätte mir etwas mehr Zeit gewünscht, um mich mit dem Thema noch mehr auseinanderzusetzen“, wünscht sich eine Person für die Zukunft.
Es gilt also, sich weiter mit Klassismus und seinen Folgen für uns als Kirche, Gesellschaft und weltweit auseinanderzusetzen. „Ich habe langweilige Jugendpolitik erwartet, doch ich finde es sehr interessant, bei wieviel ich mitentscheiden darf“, rekapituliert ein*e Teilnehmer*in. Klassismus geht uns alle an – es liegt an uns, Machtstrukturen aufzudecken und unsere Gesellschaft gemeinsam diskriminierungsfrei zu gestalten. Die Auseinandersetzung mit Klassismus ist ein entscheidender erster Schritt.
Die Evangelische Jugend in Hessen und Nassau e.V. (EJHN) ist der eigenständige Jugendverband in der EKHN und setzt sich für die Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen sowie die jugendpolitische Arbeit für alle ein. Die Vollversammlung ist das zentrale Gremium der EJHN, um Entscheidungen zu treffen, Positionspapiere zu entwickeln und wichtige Themen anzustoßen.
Dieser Text erschien am 19.11.24 auf ekhn.de. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.