Demokratie stärken in herausfordernden Zeiten
Ein Blick zurück nach vorn
von: Matthias Blöser, Referent für demokratische Teilhabe, ZGV
Demokratie und Teilhabe zu stärken ist mehr als ein Projekt. Es ist eine Daueraufgabe. Dies zeigen die Erfahrungen des EKHN-Projekts Demokratie stärken, das seit 1.9.2024 mit Fokus auf gesellschaftspolitisches Engagement und demokratische Teilhabe dauerhaft im ZGV fortgeführt wird.
„Demokratische Kultur in der Gesellschaft stärken – gegen Rechtsextremismus, Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ lautete der Projektauftrag von September 2017 bis August 2024. Seit den Correctiv-Berichten im Januar 2024 zum „Geheimplan gegen Deutschland“, dem Treffen in Potsdam, auf dem die Vertreibung von Millionen Menschen mit internationaler Geschichte Thema war, ist viel demokratisches Engagement intensiviert worden und auch neu entstanden. Nach den Großdemonstrationen und angesichts der Weltlage und der wachsenden Angriffe auf Demokratie, Frieden, Menschenrechte und Rechtsstaat bleibt die Frage, wie Demokratie und Menschenwürde nachhaltig gestärkt werden können.
Projekterfahrungen
Das Projekt Demokratie stärken entstand vor dem Hintergrund der Debatten um die Fluchtbewegungen im Jahr 2015, die viele Gemeinden durch ihr Engagement für Geflüchtete direkt betraf. Es wurde deutlich, dass in der Flüchtlingsarbeit oder für Demokratie und Menschenwürde aktive Gemeinden fachliche Unterstützung benötigten. Auseinandersetzungen um Demokratie und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nahmen mit dem Aufstieg rechtspopulistischer und extrem rechter Kräfte wie der AfD auch in unserem Kirchengebiet zu. Herausfordernd war ein Konflikt mit einer AfD- Politikerin, die Mitglied in einem Kirchenvorstand war. Letztlich ist aus der intensiven Auseinandersetzung die von der Kirchenleitung im Januar 2019 herausgegebene „Orientierungshilfe zum Umgang mit Rechtspopulismus im Kirchenvorstand“ entstanden. Diese gibt bis heute gute Orientierung.
Hilfreiche Angebote
Die Herausforderungen werden allerdings nicht kleiner, sondern wandeln sich. Dies zeigt beispielsweise die Gefahr durch Verschwörungserzählungen und Desinformation, der wir mit zahlreichen Angeboten begegnen wie der Broschüre zu Verschwörungsideologien (siehe Streiflicht). Weitere Projektangebote und Veranstaltungen thematisierten den Umgang mit Kontroversität, Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und anderen Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Dabei sind zwei innovative Angebote fester Bestandteil der Demokratiearbeit im ZGV geworden: Die Diskussionsreihe „Humor ist… Politische Satire aus der Anstalt in die Akademie“ und die #HopeSpeech-Workshops, die Hassrede mit Hoffnungsrede begegnen. Durch kreative Umgestaltung einer Kommentarspalte erfahren die Teilnehmenden ganz praktisch, wie sie sich für ihre Werte und für von Diskriminierung Betroffene einsetzen können.
Blick nach vorne
Angesichts wachsender antidemokratischer und menschenverachtender Tendenzen sowie vieler Krisen stellt sich die Frage, wie diese demokratisch, effektiv und partizipativ bearbeitet werden können. Demokratie beruht auf Verantwortung und Vertrauen. Sie wird lebendig durch gleichberechtigte Teilhabe und kontroverses Ringen um Positionen und Lösungen ohne Abwertung benachteiligter Gruppen und politischer Gegner*innen. Dabei ist es nötig, die Auswirkungen politischer Debatten und Entscheidungen auf die Lebensbedingungen aller Menschen in den Blick zu nehmen und dabei keine Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen. Wenn Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen, dass ihre realen Probleme von schwindender Kaufkraft über mangelnde Infrastruktur bis zur Klimakrise und zur Friedensgefährdung adressiert werden, kann ihr Vertrauen in die Demokratie wieder wachsen. Konflikte sollten nicht gescheut werden, sondern als unvermeidlich und als Motor für Entwicklung wahrgenommen werden. Dafür müssen diese auf Basis gemeinsamer Werte respektvoll und konstruktiv gelöst werden.
Tatsächlich werden derzeit leider Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausgespielt, oft verbunden mit Schuldzuweisungen und Vorurteilen, Ressentiments werden bewusst geschürt und die Debatte vergiftet. Kirche kann der weit verbreiteten Unbarmherzigkeit und Härte mit der Frohen Botschaft und einsatzstarker Zuversicht so begegnen, dass es guten Grund zur Hoffnung gibt. Aus der Kraft des Evangeliums können wir uns an der Seite bedrängter und ungehörter Menschen intensiver für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen und damit auch Demokratie stärken. Die christliche Botschaft kann Identität, Halt und Gestaltungkraft geben. Verankert im Glauben können Christ*innen sich aktiv, kritisch und streitbar für Demokratie und Menschenrechte einsetzen – im persönlichen Umfeld, am Arbeitsplatz und in gesellschaftlichen Debatten.
Um den Herausforderungen im Themenfeld adäquat begegnen zu können, hat die Synode der EKHN beschlossen, die Arbeit für demokratische Teilhabe dauerhaft fortzuführen. Das ist ein starkes Zeichen an Engagierte in Kirche und Gesellschaft. Wir lassen an den Rand gedrängte Menschen, die von einer Rhetorik und Politik des Niedergangs und der Niedertracht bedroht werden, nicht allein, sondern stellen uns an ihre Seite und setzen uns für ein menschenwürdiges, gerechtes und demokratisches Gemeinwesen ein. Ein Schwerpunkt wird auf der kirchlichen Unterstützung gesellschaftspolitischen Engagements und demokratischer Teilhabe junger Erwachsener und Familien liegen. Diese Zielgruppe soll besser mit ihren Anliegen in der Kirche Platz finden und aktiv werden können. Die Demokratiearbeit der EKHN kann dafür an viele Erfahrungen und Netzwerke anknüpfen und zugleich neue Wege gehen. Wir haben große Aufgaben vor uns. Diese gehen wir mit Entschlossenheit an.