Die Digitalisierung darf die Menschen nicht überrollen
Alle zwei Jahre lädt Kirchenpräsident Volker Jung Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Menschen aus der Kirche zu einem sommerlichen Abend ein, um sich zu aktuellen Themen auszutauschen.Am 28. August 2019 war es das dritte Mal, dass Kirche und Wirtschaft seiner Einladung folgten. „Veränderung gestalten“ lautete das weit gefasste Motto. „Wir haben Sie eingeladen, weil wir Ihre unternehmerische Arbeit schätzen und um mit Ihnen unsere Arbeit zu reflektieren.“ In seiner kurzen Eröffnungsansprache in der Frankfurter Heilig-Geist-Kirche betonte der Kirchenpräsident, dass Veränderungen heutzutage ein besonderes Gewicht gewonnen hätten, insbesondere durch die Digitalisierung. „Gestaltet die Veränderung, sonst werdet ihr gestaltet“ leitete Jung als Maxime aus der Lektüre des Buches „Homo Deus“ von Yuval Noah Harari ab. „Wir wollen darüber reden, wie wir als Mensch wieder die Gestaltungshoheit über unser Leben zurückgewinnen können. Und zwar mit Menschen für Menschen“, formulierte Jung und verwies auf ein aktuelles Beispiel: die „Fridays-for-future“-Bewegung der Jugend.
Körperinszenierung als Weltgestaltung
Im Hauptvortrag des Abends zitierte der Architekt und Stadtplaner Professor Wolfgang Christ den Modeschöpfer Karl Lagerfeld: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Es gehe heutzutage in der Gesellschaft um die Behauptung der persönlichen Souveränität. Abzulesen an den mannigfaltigen Formen der Inszenierung des eigenen Körpers. Diese sei keineswegs eine rein private Angelegenheit, sondern ziele geradewegs auf die Gesellschaft und die Gestaltung von Welt. Die Rückeroberung des städtischen Raumes als Ort des Handels und der Kommunikation sei daher eine wichtige Strategie, auch für ihn als Stadtplaner. Die Digitalisierung sei dieser Selbstinszenierung abträglich, schon längst seien die Menschen wieder dabei, auf ganz „analoge“ Weise das Zusammenleben zu gestalten.Analoge Wende in der Unternehmenskommunikation
Die ZDF-Moderatorin Petra Gerster leitete anschließend eine Podiumsdiskussion, zu der noch die Unternehmerin Heike Horn stieß. Horn sagte, dass auch in ihrem Unternehmen, der Firma Schaefer Kalk aus Diez, die Digitalisierung in vollem Gange sei. Es gebe aber auch in der Kommunikation unter den Mitarbeitern eine „analoge“ Wende. Neben Mails und anderer digitale Kommunikation werde das Telefongespräch oder das Kurzmeeting wieder intensiver gepflegt.Gottesdienst als digitalfreie Auszeit
Kirchenpräsident Jung betonte, dass trotz aller Bemühungen, die Kirche digitalfähig zu machen, es nach wie vor zu den zentralen Angeboten gehöre, sich „face-to-face“ zu begegnen. Der Gottesdienst bleibt nach wie vor eine analoge Veranstaltung, er biete den Menschen eine gewisse digitalfreie Auszeit. Trotzdem sei es richtig, dass Kirche auch zusätzliche Angebote in den digitalen Medien mache, auf Youtube oder bei der Integration von digitaler Kommunikation im Gottesdienst. Wichtig seien aber auch die kulturellen Angebote in Kirchen, wie Konzerte, Ausstellungen und Lesungen. „Das Analoge ist nicht ersetzbar, das Digitale darf nicht die Oberhand über die Lebensgestaltung gewinnen“ resümierte Jung.Auch Stadtplaner Christ warnte vor einer euphorischen Überbewertung der Digitalisierung. Was Schulen in die Digitalisierung des Lernens investieren, sollte in gleicher Höhe auch der Förderung des Sports zuteil werden. Schmunzelnd verwies er auf die Anekdote, dass selbst Steve Jobs und Bill Gates ihren eigenen Kindern die Benutzung eines Smartphones erst ab dem 14. Lebensjahr erlaubt hätten.
Zu den Personen
Prof. Wolfgang Christ ist Architekt und Stadtplaner. 2008 gründete er die Urban INDEX Institut GmbH in Darmstadt für die indikatorenbasierte Analyse, Planung und Gestaltung von Stadtqualität. Auf der Agenda des Instituts stehen städtebauliche Quartiersplanungen ebenso wie strategische Konzepte für die Zukunft der Orts-und Stadtzentren. An der Schnittstelle von Wissenschaft und Planung setzt das Institut an und zeigt auf, wie Synergien von Stadt und Handel entstehen können.Heike Horn ist Geschäftsführerin der Firma Schäfer-Kalk in Diez. Sie ist die erste Frau an der Spitze des Unternehmens, und ist als Geschäftsführerin insbesondere für die Bereiche Finanzen und Personal zuständig. Sie engagiert sich auf Landesebene in verbandlicher Arbeit ihrer Industriesparte: als Vorstandsvorsitzende des „Rheinischen Unternehmerverbands Steine und Erden e. V.“ (RUV). Peter W. Bernecker, Evangelisches Medienhaus