21.02.2019
Zentrum
Vernetzung macht Kirche attraktiv. „DRIN“ lehrt: Geht raus!
Mit einem Fachtag „Church, Community & Care“ haben EKHN und Diakonie Hessen die Abschlussphase des Projektes „DRIN“ eingeleitet. In der Evangelischen Akademie Frankfurt trafen sich am 19. Februar Vertreterinnen und Vertreter von Kirche und Diakonie, um eine erste Zwischenbilanz zu ziehen.
Gemeinwesenarbeit - dieser heute etwas antiquiert klingende Begriff – beschreibt das Engagement von Kirche in der Gesellschaft. Rausgehen und den Menschen professionell helfen, in den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde dieser Ansatz aus den Kirchen im angelsächsischen Raum auch nach Deutschland gebracht. Stefan Gillich, Abteilungsleiter der Diakonie Hessen, verdeutlichte mit diesem Rückblick, dass es nichts Neues ist, wenn sich Kirche den Menschen auch außerhalb der Kirchenmauern helfend zuwendet. „Was tut Kirche für die Gesellschaft“ hieß das damals. Doch diese Gegenüberstellung von Kirche und Gesellschaft sei absolut nicht mehr zeitgemäß, betonte die Stellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf in einem Podiumsgespräch. Kirche sei Teil der Gesellschaft und es gehe heute um die zeitgemäße Vernetzung von zivilgesellschaftlichen Akteuren.
Spezifische Kompetenzen einbringen
„Diakonie 4.0“ möchte Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, das moderne Konzept der Diakonie am liebsten nennen. Es geht um projektbezogene Vernetzung und Zusammenarbeit von Kirche, Diakonie und Kommunen. Jede Seite kann ihre spezifischen Kompetenzen einbringen um dort zu helfen, wo Hilfe am nötigsten ist. Auf Bundesebene gibt es daher die Initiative „Wir sind Nachbarn. Alle“ der Diakonie und der evangelischen Kirchen. In der EKHN wurde 2014 das Projekt „DRIN“ (Dabeisein, Räume entdecken, Initiativwerden, Nachbarschaft leben) gestartet, getragen ebenfalls von Kirche und Diakonie. 27 regionale Einzelprojekte wurden mit einer Gesamtsumme von 3 Millionen Euro gefördert.
„DRIN“ ist nun in der Abschlussphase
Ein Team der Hochschule Hannover arbeitet derzeit an einer Evaluation, die auf der EKHN-Synode im Herbst vorgestellt wird. Professor Alexander Dietz, Leiter der Studie, erläuterte, worum es in den einzelnen „DRIN“- Projekten bei der Bekämpfung von Armut konkret ging. Zum einen gibt es die materielle Armut, deren Bekämpfung vornehmlich Aufgabe von Staat und Kommune ist. Daneben gebe es bei vielen Menschen auch eine soziale und spirituelle Armut. Hier kommen die Kompetenzen von Diakonie und Kirche ins Spiel. Hier spreche man auch besser von „Armutslinderung“. Vielen Menschen helfe es, wenn ihnen Räume geboten werden, wo sie sich mit ihren speziellen Bedürfnissen aufgehoben fühlen. So sei auch der soziale Aspekt der Tafelarbeit nicht zu unterschätzen, auch wenn Tafeln an der materiellen Armut der Betroffenen langfristig wenig ändere.
In einem vorläufigen Fazit stellte Dietz fest, dass rund zwei Drittel der „DRIN“-Projekte künftig auch weitergeführt werden. Zu den Projektvoraussetzungen und Bedingungen der Förderung gehörte auch ein finanzielles Konzept, das eine Weiterführung ermöglicht. In einigen Fällen seien private Sponsoren gefunden worden oder die Kommune übernimmt künftig ein Teil der Kosten.
Kommunen stoßen an Grenzen
Die Gießener Stadträtin Gerda Weigel-Greilich lobte das Konzept der „DIRN“-Projekte. „Vieles von dem, was geleistet wurde, kann nur von Diakonie und Kirche geleistet werden.“ Städtische Behörden können beispielsweise Nachbarschaftshilfe gar nicht organisieren, obwohl der Bedarf offensichtlich sei. Insbesondere mit der Ressource des Ehrenamtes sei die Kirche ein wichtiger Kooperationspartner. Kommunen sähen sich vielmehr in der Rolle der Komplementärfinanzierung, so Weigel-Greilich.
Wort und Tat bedingen einander
Dass diakonisches Engagement auch den Glauben stärke, davon ist die Stellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf überzeugt. Die knapper werdenden Ressourcen bei Kirche führen zu einem Nachdenken darüber, was eigentlich das „Kerngeschäft“ von Kirche sei. Dazu gehöre neben der Verkündigung auch das diakonische Handeln. Sie habe beobachtet, dass sich viele junge Menschen in den Jahren 2015 und 2016 dazu entschieden haben, Theologie zu studieren, weil sie gesehen haben, wie sich Kirche in der Flüchtlingsarbeit engagiere. „Da wollten die jungen Menschen dabei sein“, so Scherf.
Kirchliche Strukturen flexibler gestalten
Bei der Suche nach Netzwerken und Kooperationspartnern müsse sich Kirche intensiver mit der Sozialraumanalyse auseinandersetzen. Wo gebe es eigentlich einen Bedarf an Projekten, wer kommt als Kooperationspartner in Frage. Wenn Kirchengemeinden „über ihren Kirchturm hinaus blicken“ kann das auch zur möglichen Folge haben, dass Kirchengemeinden stärker miteinander kooperieren. In der ist EKHN zum 1. Januar 2019 das neue Regionalgesetz in Kraft getreten, das die Möglichkeiten zur gemeinsamen Gestaltung kirchlichen Lebens in benachbarten Kirchengemeinden deutlich erweitert. Regionale Zusammenarbeit kann neue Möglichkeiten kirchlicher Arbeit eröffnen, die sich in den einzelnen Kirchengemeinden allein oder auf der Ebene des Dekanats nicht in gleicher Weise verwirklichen lassen.
Peter W. Bernecker, Evangelisches Medienhaus