Das Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung begrüßt den EKD-Text „Konsens und Konflikt: Politik braucht Auseinandersetzung“. Die von der Kammer für öffentliche Verantwortung verfassten zehn Impulse zu aktuellen Herausforderungen der Demokratie in Deutschland machen auf nachdenkenswerte Weise deutlich, dass im Ringen um ein gutes Zusammenleben und gelingendes Gemeinwohl eine offene und demokratische Gesellschaft nicht selbstverständlich ist, aktiver Gestaltung und grundsätzlich einer tragfähigen Streitkultur bedarf. Dass der Text dabei für eine responsive Politik, d.h. für eine Verstärkung der politischen Teilhabe und Repräsentation, plädiert, ist sachgemäß.
Konflikte können zu Revitalisierung der Demokratie führen
Demokratie ist auf vorpolitische Bedingungen ihres Funktionierens angewiesen. Diese Bedingungen aber unterliegen gegenwärtig einem schnellen und tiefgreifenden Wandel. Durch kulturelle, technische und wirtschaftliche Globalisierungen öffnen sich gerade in den Gesellschaften der westlichen Industrienationen neue Bruchlinien, die zu einer verstärkten politischen Polarisierung führen - aufkommender Populismus ist dafür ein Indikator. Die damit verbundenen Konflikte sind nun aber nicht per se als krisenhaft anzusehen. Daran zu erinnern, ist sicher eine der Leistungen des Textes. Konflikte können auch zu einer Revitalisierung der Demokratie führen. Leidenschaftlichen politischen Auseinandersetzungen und Debatten z.B. um Asyl und Zuwanderung, um die Gestaltung der Globalisierung oder um das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit, sind keine Krise der Demokratie, sondern Demokratie. Demokratie lebt im Sinne eines positionsreichen Pluralismus von Auseinandersetzungen zwischen vielfältigen Lebensentwürfen und politischen Ideen.
Spaltung der Gesellschaft vermindern
Die Auseinandersetzungen um die Gestaltung des politischen Gemeinwesens wird die Demokratie stärken. Allerdings nur dann, wenn materielle und immaterielle Spaltungen in der Gesellschaft vermindert werden – hier bleibt der Text allerdings etwas vage - und Auseinandersetzungen zivilisiert und konstruktiv geführt werden. Zurecht weist der EKD-Text darauf hin, dass im „Spannungsfeld von Konflikt, Kompromissen und Konsens vor allem darauf zu achten ist, „Strukturen und Mentalitäten zu schaffen, die dabei helfen, mit Konflikten und Dissonanzen so umzugehen, dass deren destruktives Potenzial eingehegt wird“ (S. 9). Das ist, weiß Gott, nicht einfach und natürlich nicht nur eine Frage der Politik und des Rechts, sondern letztlich auch eine Frage an alle Bürger und Bürgerinnen.
Die Kirchenleitung und die Synode der Ev. Kirche in Hessen und Nassau hat u.a. auch aus diesem Grunde eine sechsjährige Projektstelle „Demokratische Kultur in der Gesellschaft stärken“ eingerichtet. Die Fachstelle soll u.a. Dekanate und Kirchengemeinden beraten und dabei unterstützen, ihr zivilgesellschaftliches Engagement mit Blick auf Gefährder der demokratischen Kultur zu stärken.
Kirchen sind Stimme im gesellschaftlichen Veränderungsprozess
Der EKD-Text macht nun zu recht auch darauf aufmerksam, dass die Kirchen als politische Akteure ihren eigenen Anteil an den Veränderungsprozessen der Demokratie haben. Sie sind eine positionierte Stimme im gesellschaftlichen Aushandlungsprozess. Die Kirchen sind dabei jedoch Spiegel der pluralen Gesellschaft: unterschiedlichste Auffassungen mit Blick auf gesellschaftspolitisch relevante Themen des gesellschaftlichen Wandel, Skepsis und Ängste sind auch hier präsent.
Auf Grund des starken Freiheitsimpulses der christlichen Botschaft hat die Evangelische Kirche damit aber gleich mehrere Aufgaben: 1. sich als eine Stimme in der Gesellschaft positioniert in die gesellschaftlichen Debatten einzubringen 2. sich für einen breiten, möglichst offenen und zivilisierten Diskursraum zur Konsensfindung in der Gesellschaft einzusetzen und 3. diesen Raum auch in innerkirchlichen Zusammenhängen zu gewährleisten, zu sichern und wenn nötig auch auszuhalten.
Das in nachdenklichem Ton geschrieben EKD-Papier ist damit nicht nur ein lesenswerter Text über den Zustand und die Herausforderungen der Demokratie aus evangelischer Sicht, sondern nimmt auch selbstkritisch die Pluralismusfähigkeit der eigenen Organisation in den Blick. Damit leistet der Text einen wichtigen Betrag zur Demokratie – aber auch zur innerkirchlichen Streitkultur.
OKR Christian Schwindt, Leitung des Zentrums Gesellschaftliche Verantwortung
Auf insgesamt 32 Seiten wurden zehn Impulse zu aktuellen Herausforderungen der Demokratie in Deutschland verfasst.
„Mit dem Papier möchte die Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD in zehn Impulsen zur öffentlichen Debatte und zur Weiterentwicklung der Demokratie beitragen“, sagte der Münchner Theologieprofessor und Vorsitzende der Kammer für Öffentliche Verantwortung, Reiner Anselm. „Es soll ein Prozess des Nachdenkens ausgelöst werden und zwar in der Kirche, ihren Gremien und bei den Repräsentanten ebenso wie in der Gesellschaft“, so Anselm.