Ausbildung ist das Rückgrat des Handwerks
NACHGEFRAGT: Drei Fragen an Bernhard Mundschenk, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Hessischen Handwerkskammern, Wiesbaden, www.handwerk-hessen.de
1. Das Handwerk ist massiv vom Fachkräftemangel betroffen. Welche Auswirkungen hat das auf die Handwerksbetriebe und auf uns als Kunden?
Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) standen im vergangenen Jahr 201.411 offenen Stellen 139.256 arbeitslose Handwerker gegenüber. Diese Zahlen zeigen leider eindrücklich, dass wir schon heute von einem massiven Fachkräftemangel betroffen sind.
Dieser Fachkräftemangel beginnt beim Nachwuchs und setzt sich bei den Gesellen und Handwerksmeistern fort. Insbesondere zwei Trends sind dafür verantwortlich: So haben wir auf der einen Seite durch die demografische Entwicklung deutlich weniger Schulabgänger und die Generation der Babyboomer geht in den Ruhestand und zum anderen gibt es bei den jungen Menschen einen ungebrochenen Run zu den Hochschulen und Universitäten.
Ausbildung ist das Rückgrat des Handwerks. Wenn heute zu wenig ausgebildet wird, bedeutet dies in ein paar Jahren auch eine deutlich geringere Zahl von Gesellen, Handwerksmeistern und letztlich Betriebsinhabern. Damit verschärft sich das bereits heute eklatante Problem der Betriebsübergaben und damit der Generationenwechsel im Handwerk. Zugleich werden die Wartezeiten für Kunden für bestimmte handwerkliche Leistungen weiter zunehmen. So müssen Betriebe bereits heute eine Vielzahl von Aufträgen ablehnen, weil die Abarbeitung aufgrund fehlender Fachkräfte nicht mehr möglich ist.
„Über viele Jahrzehnte wurde propagiert, dass nur eine schulische bzw. akademische Ausbildung der Königsweg ist. Heute müssen wir erkennen, dass dies ein Irrweg war.“
Bernhard Mundschenk
2. Was müsste aus Ihrer Sicht verändert werden, um dem Fachkräftemangel zu begegnen?
Über viele Jahrzehnte wurde propagiert, dass nur eine schulische bzw. akademische Ausbildung der Königsweg ist. Heute müssen wir erkennen, dass dies ein Irrweg war. Das Versprechen „Aufstieg durch Bildung“ gilt zwar nach wie vor, allerdings ist damit ganz ausdrücklich auch die berufliche Bildung gemeint. Hier ist allerorten jedoch ein Umdenken zwingend notwendig – bei den Schülern, den Lehrern und Eltern. Wir brauchen nicht weniger als eine Bildungswende im Sinne einer deutlichen Stärkung der beruflichen Bildung. Dabei sind bildungspolitische Maßnahmen in den Blick zu nehmen, die zum einen die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung herstellen, zum anderen aber auch Betriebe bei der Ausbildung unterstützen.
Hierzu drei Beispiele:
a) Sinkende Ausbildungszahlen sind ein gesamtgesellschaftliches Problem und brauchen damit auch eine gesamtgesellschaftliche Lösung. Die berufliche Orientierung ist bundesweit auszubauen in Form einer ergebnisoffenen beruflichen Orientierung, verankert curricular übergreifend in allen Schulfächern und -formen, insbesondere auch in den Gymnasien und hier gerade in der gymnasialen Oberstufe. Zudem muss das Thema zukünftig in den Ausbildungsinhalten für Lehramtsstudierende fester Bestandteil sein.
b) Die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung muss in der Gesellschaft sichtbarer gemacht werden, z. B. durch eine gesetzliche und dadurch rechtsverbindliche Festschreibung in einem Gesetz zum Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR).
c) Unsere in der überwiegenden Zahl Klein- und Kleinstausbildungsbetriebe sind direkt zu unterstützen, indem sie eine steuerliche Förderung und damit eine betriebliche Entlastung von Kosten der betrieblichen Ausbildung erhalten.
3. Welche Strategien verfolgen Sie, um Fachkräfte anzuwerben?
Neben der Imagekampagne des Deutschen Handwerks, die in den sozialen Medien gezielt das Thema „Nachwuchsgewinnung“ adressiert, haben wir in den letzten Jahren die Maßnahmen zur beruflichen Orientierung deutlich ausgebaut. Das beginnt bei der Einstellung von Mitarbeitern, die sich speziell um die Nachwuchsgewinnung in den Schulen kümmern, mit der Produktion von mehr als 30 Virtual-Reality-Filmen, der Durchführung von sogenannten Pop-up-Stores in hessischen Einkaufszentren, der Durchführung von Sommercamps und Mitmachtagen in den Werkstätten der Bildungszentren bis zu Speeddating-Veranstaltungen und der Durchführung von virtuellen Elternabenden.