Denn keiner streitet und ringt für sich selbst
ZUM THEMA: Vertrauen zu haben ist für die menschliche Existenz überlebenswichtig. Wenn man im „vertrauten“ Familienkreis aufwächst, wird man sich dessen erst später bewusst.
von: Prof. Dr. Karl Heinrich Schäfer, bis 2010 Präses der Kirchensynode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
Es ist zunächst ein bedingungsloses, unbewusstes Vertrauen in Personen im engsten Familienkreis, das sich im Laufe der Jahre entwickelt zu einem bewussteren Wahrnehmen der Menschen, denen man vertraut. In Schule und Studium oder Beruf erfährt man dann, dass es auch außerhalb der Familie Abläufe gibt, die auf Vertrauen beruhen. Es ist eher ein Vertrauen in vereinbarte Strukturen als in bestimmte Personen.
Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn man sich in Staat und Gesellschaft betätigt und dabei gesetzliche Grundlagen oder Regelwerke vorfindet, die man beachten muss, auf die man andererseits aber auch „vertrauen“ darf. In diesem Sinne verstehe ich auch meine Prägung in einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Wenn man wie ich von rechts- und sozialstaatlichen Prinzipien überzeugt ist, dann ist es schwer erträglich, wenn man von denen, die von einer unbestrittenen Rechtslage abweichen, Antworten erhält wie „Du hast ja Recht, aber das hier ist Politik.“, „Das ist doch nicht so schlimm.“ oder sogar „Die anderen machen es doch auch.“.
„Es sollte also alles ‚im Vertrauen auf Gottes Beistand‘ so geregelt sein, dass man in der Kirche auf gesicherter Rechtsgrundlage im gegenseitigen Vertrauen handeln kann.“
Prof. Dr. Karl Heinrich Schäfer
Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, nicht nur unseren Staat als freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat mitzugestalten, sondern diese Prinzipien auch innerhalb der Kirche mit Leben zu füllen. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hat sich laut Präambel „im Vertrauen auf Gottes Beistand“ eine „Kirchenordnung“ gegeben, die bewusst von der Gemeinde her in Richtung gesamtkirchlicher Verantwortung aufgebaut ist und auf Dekanats- und gesamtkirchlicher Ebene ausgeprägte synodale Befugnisse festlegt. Die Kirchensynode verfügt über eine „parlamentarische“ Geschäftsordnung und mit den auch während des Jahres tagenden Ausschüssen über deutliche parlamentarische Strukturen. Es sollte also alles „im Vertrauen auf Gottes Beistand“ so geregelt sein, dass man in der Kirche auf gesicherter Rechtsgrundlage im gegenseitigen Vertrauen handeln kann.
Wie wir innerhalb der Kirche miteinander umgehen, ist allerdings zuweilen immer noch mit Irritationen belastet. Kirchlich engagierte Juristen äußern ihre Sorge, dass klare und verbindliche rechtliche Grundlagen mitunter theologisch uminterpretiert und in der kirchlichen Praxis nicht immer ernst genommen würden. Auch aus der EKHN sind mir Fälle dieser Art bekannt und immer noch vor Augen. Dabei ist ein an rechtsstaatlichen Verwaltungsgrundsätzen orientiertes Verfahren in kirchlichen Entscheidungsprozessen wichtiger als dies als Misstrauen gegenüber der handelnden Kirchenleitung zu begreifen. Haben wir keinen Mut? Haben wir nicht genügend Vertrauen in nachvollziehbare und nachprüfbare Verfahren?
Es war gewiss eine große Aufgabe für die Evangelische Kirche, die für die Demokratie einschlägigen Entscheidungsfindungsprozesse kirchlich zu übernehmen. Dass dies „im Vertrauen auf Gottes Beistand“ und nur im gegenseitigen Vertrauen gelingen kann, hat der frühere Präses Otto Rudolf Kissel im Jahr 1985 wie folgt begründet:
„Denn keiner streitet und ringt für sich selbst und seine persönlichen Ziele, sondern uns alle verbindet das gemeinsame Bemühen, dem Herrn zu dienen und für ihn Zeugnis zu geben. Einig in diesem Ziel, werden wir über die Wege dann getrost streiten und gelegentlich auch eigene Positionen getrost aufgeben können.“