Sind Eurobonds die Lösung? Wie lassen sich die Konjunkturpakete der europäischen Staaten finanzieren?
WIRTSCHAFT & FINANZPOLITIK: In der aktuellen Corona-Krise und den damit einhergehenden konjunkturellen Schwierigkeiten ist die Debatte um Eurobonds wieder stark entbrannt. Die Berichterstattungen vom EU-Gipfel im März 2020 deuten an, dass es einen erheblichen Konflikt zwischen Ländern aus dem Norden der europäischen Union und den südlichen Ländern der Union gegeben hat und weiter-hin geben wird. Die nördlichen Länder, deren Staatshaushalt stabiler ist, wehren sich vehement gegen die Einführung sogenannter Eurobonds (1), die südlichen Länder, in denen die Staatsschuldenquoten oft deutlich höher liegen, fordern sie ein.
„Welche Maßnahmen wirklich erforderlich sind und welche politisch opportun sind, lässt sich zu diesem Zeitpunkt nur sehr schwierig beurteilen. Aus diesem Grund ist vor vorschnellen Urteilen zu warnen.“ Jan Ehlert Hintergrund der gesamten Diskussion ist die Frage nach der Eigenverantwortlichkeit für den eigenen Staatshaushalt. Während es in der Europäischen Union eine Währungsunion gibt, sind Finanz- und Wirtschaftspolitik nach wie vor in der Verantwortlichkeit der Nationalstaaten. Das Haushaltsrecht ist seit Jahrhunderten elementares Recht des Volkssouveräns, weswegen es sehr verständlich ist, dass viele Länder nicht ohne Weiteres bereit sind, diese Kompetenz an eine supranationale Organisation wie die Europäische Union abzugeben. Aber das zieht, wie spätestens seit der Eurokrise bekannt, erhebliche Schwierigkeiten nach sich. Im Kern der Diskussion steht dabei die Frage nach der Haftung für die aufgenommenen Schulden.
Wieso können Eurobonds aktuell hilfreich sein?
Das Konzept der Eurobonds sieht vor, dass nicht mehr einzelne Staaten Schulden aufnehmen müssten, sondern die europäische Union gemeinsam eine Anleihe ausgibt und für diese bürgt. Bei dieser Anleihe wären die anfallenden Zinsen erheblich geringer als bei Anleihen, die von einzelnen konjunkturell schwächelnden Ländern anfallen würden, da deren Bonität am Kreditmarkt schlechter eingeschätzt wird. Durch dieses Mittel wäre es also möglich, dass Staaten, deren Wirtschaft jetzt durch die vom Coronavirus verursachten Wirtschaftseinbrüche geschwächt ist, günstiger an finanzielle Mittel kämen, um der aktuellen Krise entgegenzusteuern. Es ist eine solche Krisensolidarität, die nun von betroffenen Ländern eingefordert wird. Es ist derzeit schwer abzusehen, wie gravierend die wirtschaftlichen Folgen der Krise genau ausfallen werden. Viel Handlungsspielraum für Regierungen könnte in der Situation deswegen das Einzige sein, was große Teile des Wirtschaftssystems in besonders betroffenen Ländern überhaupt retten kann.Was spricht dagegen?
Die Probleme mit einer gemeinsamen Haftung für die Schulden einzelner Länder liegen in volkswirtschaftlichen Anreizproblematiken (Moral Hazard). Länder, die Schulden aufnehmen, für die sie nun nicht mehr alleine haften, genießen die vollen Vorteile der Schuldenaufnahme, sind aber von den potenziell negativen Konsequenzen nur partiell betroffen. Das sorgt in vielen Fällen für eine Überinanspruchnahme dieser Mittel. Hier greift die oben skizzierte Problematik. Staaten haben das volle Haushaltsrecht, aber bei Nutzung von Eurobonds eben nicht mehr die volle Haftungspflicht. Damit einher geht die Befürchtung, die unter anderem vom Vorsitzenden des Sachverständigenrates der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Professor Lars Feld, geäußert wurde, dass die Einführung eines solchen Instrumentes in einer Krisenzeit dazu führt, dass dieses Instrument auch weiterhin am Markt bleibt, nachdem die Krise überwunden ist. Zudem sind Eurobonds ein neues finanzwirtschaftliches Mittel, sodass eine kurzfristige Einführung, wie von Italien gewünscht, äußerst unrealistisch erscheint.Alternativen und Kompromisse
Der Vorschlag von der deutschen Bundesregierung, der derzeit im Raum steht, ist die erneute Nutzung des Rettungsschirms ESM. Durch diesen soll betroffenen Ländern bis zu 500 Mrd. Euro an Kapital zur Verfügung gestellt werden. Doch der Vorschlag stößt insbesondere bei Italien auf Widerstand. Der Grund dafür liegt darin, dass mit Inanspruchnahme des ESM weitgehende Verpflichtungen einhergehen, die den betroffenen Ländern einen Teil ihrer Souveränität nehmen würde. Diese Verpflichtungen sind vor allem darauf ausgelegt, die fiskalische Stabilität des Landes zu gewährleisten, beinhalten damit aber signifikante Einschränkungen im wirtschafts- und finanzpolitischen Bereich. Im Gespräch ist derzeit unter anderem eine Anpassung der Auflagen an die gegenwärtige Situation. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire hat zusammen mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz mittlerweile einen Plan dazu vorgelegt. So sollen die Auflagen des ESM in der gegenwärtigen Krise erheblich gelockert werden; Le Maire sprach von einer „sehr leichten Konditionalität“. Ob dieser Vorschlag sich durchsetzen wird, hängt jetzt von der Kompromissbereitschaft der EU-Regierungen ab. Selbst mit einem solchen Kompromiss scheinen jedoch Eurobonds noch nicht vollständig vom Tisch zu sein. Ein zweites Konzept, das im Zusammenhang mit Eurobonds schon mehrfach im Gespräch war, ist die Unterscheidung zwischen sogenannten Blue und Red Bonds. Blue Bonds sind Staatsanleihen, die gemeinsam von der europäischen Union getragen werden und ein vorrangiges Auszahlungsrecht genießen. Das bedeutet, dass im Falle eines Kreditausfalls diese Kredite als Erstes gedeckt würden. Solche Blue Bonds könnten Staaten aber nur zur Deckung eines Teiles ihrer Staatsschulden nutzen, nämlich den im europäischen Stabilitätspakt festgelegten 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Für alle Schulden, die darüber hinausgehen, müssten Staaten Schuldscheine selbstständig am freien Kreditmarkt ausgeben. Diese Schuldscheine wären dann die oben genannten Red Bonds. Die Zinsen für diese Schulden wären dementsprechend höher. Das liegt daran, dass zum einen nur das Land selbstständig für diese Schulden haftet und zum anderen daran, dass, im Falle eines teilweisen Kreditausfalls, die anderen Schulden vorrangig bedient würden. Damit wäre der Anreiz, fiskalisch verantwortlich zu agieren, weiterhin gegeben.Wie geht es weiter?
In der aktuellen Situation lässt sich nur schwer sagen, welcher Weg durch die europäischen Institutionen in den nächsten Wochen und Monaten eingeschlagen wird. Die politisch unabhängige Europäische Zentralbank (EZB) setzt ihrerseits schon Maßnahmen um, die zur Vermeidung von Liquiditätsproblemen im Euroraum wirken sollen. Welche Maßnahmen wirklich erforderlich sind und welche politisch opportun sind, lässt sich zu diesem Zeitpunkt nur sehr schwierig beurteilen. Aus diesem Grund ist vor vorschnellen Urteilen zu warnen. Bereits in der Eurokrise zu Beginn der letzten Dekade haben die Verantwortlichen nach viel Ringen immer das Nötige getan, um sich auf einen gemeinsamen Kurs verständigen zu können. Es bleibt zu hoffen, dass ihnen das auch in dieser Krise gelingen wird.(1) Derzeit wird auch der Begriff Coronabonds verwendet.