Unternehmen sollten ganzheitlich Verantwortung für die Auswirkungen ihres Handelns übernehmen
INTERVIEW: Unternehmen sollten ganzheitlich Verantwortung für die Auswirkungen ihres Handelns übernehmen Drei Fragen an Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Outdoorausrüsters VAUDE in Tettnang.
„Wer ganzheitliche Verantwortung übernimmt, ist in diesem System automatisch im Wettbewerb benachteiligt.“
Antje von Dewitz
Sie haben in Ihrem Unternehmen schon das zweite Mal eine Gemeinwohl-Bilanzierung vorgenommen. Warum machen Sie das und wie funktioniert das in der Praxis?
Von Dewitz: Wir übernehmen seit über zehn Jahren konsequent soziale und ökologische Verantwortung in unserem Unternehmen. So ist unsere Firmenzentrale mit den dort hergestellten Produkten 100 Prozent klimaneutral. Wir haben innovative Mobilitätskonzepte, eine Bio-Kantine und einen nach ökologischen Kriterien umgebauten Firmensitz mit hoher Energieeffizienz. Außerdem setzen wir uns sehr dafür ein, unseren Mitarbeiter*innen eine gute Work-Life-Balance zu bieten. Auf Produktseite gestaltet VAUDE sowohl die gesamte Lieferkette als auch den Lebenszyklus eines Produkts konsequent nach ökologischen und fairen Gesichtspunkten. Wir haben mit „Green Shape“ ein eigenes strenges Bewertungssystem für ökologisch und fair hergestellte Produkte geschaffen. Derzeit erfüllen 98 Prozent unserer Bekleidungskollektion die Green-Shape-Kriterien. Seit vielen Jahren engagieren wir uns mit unabhängigen Partnern wie beispielsweise der Fair Wear Foundation dafür, bei unseren Lieferanten und Produzenten hohe ökologische und soziale Standards zu gewährleisten. Dafür schulen wir auch auf freiwilliger Basis unsere Materialzulieferer in Asien.All das bedeutet wesentlich mehr Aufwand, Zielkonflikte, Komplexität und Kosten und stellt damit zunächst erstmal einen Wettbewerbsnachteil dar. Denn verantwortungsvolles Wirtschaften beruht zu einem hohen Grad auf Freiwilligkeit. Wer ganzheitliche Verantwortung übernimmt, ist in diesem System automatisch im Wettbewerb benachteiligt. Wer auf Kosten von Mensch und Natur wirtschaftet, kann im Gegensatz dazu günstige Preise und/oder hohe Gewinne einstreichen. Deshalb setzen wir uns für die Schaffung eines Level Playing Field ein, also gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle. Es ist unsere Überzeugung, dass Unternehmen ganzheitlich Verantwortung für die Auswirkungen ihres Handelns übernehmen sollten. Diesen Ansatz verfolgt auch die Gemeinwohl-Ökonomie. Die GWÖ-Bilanz ist aus unserer Sicht eine sinnvolle Ergänzung zur Wirtschaftsbilanz eines Unternehmens. Wir nutzen die GWÖ zum einen als einen Management-Ansatz, um uns in unserem Gemeinwohlbeitrag zu beleuchten. Zum anderen möchten wir uns als Pionierunternehmen u. a. mit der GWÖ dafür einsetzen, dass solche Ansätze, die mehr Verantwortungsübernahme von Unternehmen fordern, in unserem Wirtschaftssystem zum Tragen kommen. In der Praxis erstellen wir eine GWÖ-Bilanz, die bei uns überwiegend mit bereits erfassten und zertifizierten Inhalten befüllt wird, die beispielsweise aus unserem Umweltmanagementsystem EMAS, dem Klimabericht, dem Sozialreport der Fair Wear Foundation oder unserem Nachhaltigkeitsbericht, der nach dem internationalen GRI-Standard verfasst wird, gewonnen werden. Darüber hinaus erstellen wir eine Eigenbewertung anhand festgelegter Kriterien. Wenn alles zusammengestellt ist, kommt ein externer Auditor, der alle Inhalte genau überprüft.
Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?
Von Dewitz: Eine GWÖ-Bilanz misst unternehmerischen Erfolg nicht nur an ökonomischen, sondern auch an ökologischen und sozialen Faktoren. Unternehmen werden also nicht nur nach ihrem finanziellen Erfolg bewertet, sondern auch daran, inwieweit sie Verantwortung für Mensch und Umwelt übernehmen und die wahren Kosten für ihre Produkte berücksichtigen. Zielsetzung ist eine nachvollziehbare und ehrliche Einschätzung, wo sich ein Unternehmen im Hinblick auf das Gemeinwohl befindet.Wenn diese Art der Bewertung von Unternehmen in unserem Wirtschaftssystem verankert wäre, würden globale Herausforderungen wie die Klimaerwärmung einen ganz anderen Stellenwert in unserer Welt erhalten. Deswegen unterstützen wir die Gemeinwohl-Ökonomie und freuen uns, dass dieses Konzept auch in der Politik und der Wirtschaft immer mehr Zuspruch findet.
Haben Sie durch die Bilanzierung einen anderen Blick auf Ihr Unternehmen bekommen?
Von Dewitz: Ja, wir beschäftigen uns dadurch immer wieder mit Fragen, die wir uns sonst nicht in dem Maße gestellt hätten. Zum Beispiel: Was ist unsere ideale Unternehmensgröße? Ist weiteres Wachstum notwendig? In welcher Form können wir Mitarbeiter*innen an der Auswahl ihrer Führungskräfte beteiligen?Die Gemeinwohl-Bilanz ermöglicht einen sehr ganzheitlichen Blick auf alle möglichen Facetten des Unternehmens.
Zum Unternehmen
Das Unternehmen VAUDE Sport GmbH + Co. KG ist zu 100 Prozent im Familienbesitz. VAUDE entwickelt, produziert und vertreibt Outdoor-Ausrüstung wie Rucksäcke, Bekleidung, Schlafsäcke oder Zelte und beschäftigt 529 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.www.vaude.com