Wirtschaften im Zeichen des Gemeinwohls
HINTERGRUND: Die Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie hat sich seit 2010 von Österreich, Bayern und Südtirol aus auf 30 Staaten ausgebreitet. Immer mehr Unternehmen, Kommunen und Bildungseinrichtungen beteiligen sich. Kann die GWÖ das Wirtschaftsmodell der Zukunft werden?
von: Christian Felber, Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie„Die Gemeinwohl-Ökonomie will bewusst ein zukunftsfähiges Wirtschaftsmodell sein, weil sie auf ökologische Stabilität und sozialen Zusammenhalt baut.” Christian Felber Nicht nur die Demonstrierenden an Fridays for Future wünschen eine Änderung der aktuellen Wirtschaftsweise. Eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung ergab, dass 88 Prozent der Menschen in Deutschland und 90 Prozent in Österreich eine "neue Wirtschaftsordnung" wünschen. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist ein innovatives Wirtschaftsmodell, das seit 2010 international Resonanz erzeugt. Die tragenden Säulen der Gemeinwohl-Ökonomie sind dabei nicht "neu", sondern zeitlose Ziele und Verfassungswerte. Die bayrische Verfassung besagt: "Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl." (Art. 151) Das Grundgesetz sieht vor, dass "Eigentum verpflichtet" und "sein Gebrauch zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll" (Art. 14).
Gemeinwohl-Produkt und Gemeinwohl-Bilanz
Das Gemeinwohlziel wird aber heute in der realen Wirtschaft nicht gemessen. Es fehlen die geeigneten Erfolgsparameter. Heute bilden das Bruttoinlandsprodukt (Volkswirtschaft), der Finanzgewinn (Unternehmen) und die Finanzrendite (Investition) die zentralen Erfolgsmaßstäbe. Sie messen jedoch nur die Verfügbarkeit der Mittel und können daher gar nichts Verlässliches über die Zielerreichung aussagen. Künftig könnte ein "Gemeinwohl-Produkt", das sich zum Beispiel aus Indikatoren für Gesundheit, Wohlbefinden, Bildung, Teilhabe, sozialen Zusammenhalt, ökologische Stabilität, Sicherheit und Friede zusammensetzt, direkt die Zielerreichung und damit den "Erfolg" einer Volkswirtschaft messen. Das Gemeinwohl-Produkt könnte direkt von der Bevölkerung, etwa in Bürger*innenräten, komponiert werden.Analog dazu wird der Erfolg eines Unternehmens mit einer "Gemeinwohl-Bilanz" gemessen. Diese misst, wie sich Unternehmen in Bezug auf die Ziele Klima- und Artenschutz, menschenwürdige Arbeitsbedingungen, sozialen Zusammenhalt und Verteilungsgerechtigkeit, Beziehungsqualität und Geschlechterverhältnis verhält. Jedes Unternehmen kann maximal 1000 Punkte erreichen. Je besser das Ergebnis der Gemeinwohl-Bilanz eines Unternehmens, desto niedrigere Steuern, Zölle, Zinsen zahlt es, oder es erhält Vorrang beim öffentlichen Einkauf. Mithilfe dieser Anreize werden die ethischen Produkte preisgünstiger als die unethischen. Die "Gesetze" des Marktes würden mit den Werten der Gesellschaft übereinstimmen.
Für Groß und Klein
Die Gemeinwohl-Bilanzierung ist grundsätzlich für Unternehmen jeder Größe und Branche geeignet, denn die ethischen Grundsatzfragen sind überall dieselben: Wie human sind die Arbeitsbedingungen, welche Umweltauswirkungen gibt es, wie werden Zulieferer und Kund*innen behandelt, wie wird verteilt und wie entschieden? Die Gemeinwohl-Bilanz ist die ethische Schwester der Finanzbilanz: Analog zu Letzterer sollen alle (größeren) Unternehmen gemeinwohlbilanzpflichtig werden, nach einem einheitlichen gesetzlichen Berichtsstandard, und das extern geprüfte Ergebnis soll Rechtsfolgen haben. Aktuell ziehen die größten Unternehmen noch weniger ehrgeizige Instrumente wie den Global Compact oder den DNK vor - sie haben diese Wahl! Zwar ist die GWÖ-Bewegung mit einigen der größten Unternehmen Deutschlands im Gespräch, darunter REWE, BOSCH und die Otto-Group, aber bisher hat kein Weltkonzern den Sprung zur Gemeinwohl-Bilanz gewagt - hingegen finden sich unter den 500 Bilanzpionieren zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen wie die Sparda Bank München, VAUDE, Sonnentor, elobau, Herzogsägmühle, die Stuttgarter Entwässerung, die Samariter-Stiftung, die Fachhochschule Burgenland, Prior1 oder WBS Training Berlin. Die Verschärfung der EU-Richtlinie über nichtfinanzielle Berichterstattung könnte hier eine Änderung bringen und auch die Großunternehmen stärker in die Berichtspflicht nehmen - ganz im Sinne von Artikel 14 des Grundgesetzes.Stand der Bewegung
Neun Jahre nach dem Start in Österreich, Bayern und Südtirol hat sich die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung auf 30 Staaten ausgebreitet. Allein in Deutschland sind 63 Regionalgruppen entstanden, insgesamt unterstützen 2800 Unternehmen die Bewegung. Zehn nationale Vereine von Schweden bis Chile gründeten 2018 den Internationalen Verband. Aktuell machen sich immer mehr Gemeinden und Städte auf den Weg zur Gemeinwohl-Gemeinde. Stuttgart hat zwei Kommunalbetriebe bilanziert, Mannheim folgt gerade mit vier Betrieben. Steinheim und Brakel in Ostwestfalen sind die ersten Gemeinwohl-Städte. Großes Interesse herrscht auch an Schulen, Hochschulen und Universitäten. An der Universität Valencia wurde ein Lehrstuhl für Gemeinwohl-Ökonomie eingerichtet, in Österreich ist ein Lehrgang Angewandte Gemeinwohl-Ökonmie 2018 gestartet. Bisher haben fünf Landesregierungen - Salzburg, Baden-Württemberg, Hessen, Bremen und Valencia - die Gemeinwohl-Ökonomie im Regierungsprogramm. Auf EU-Ebene hat der Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) eine Initiativstellungnahme zur Gemeinwohl-Ökonomie abgestimmt: 86 Prozent der Ausschussmitglieder votierten für ihren Einbau in den Rechtsrahmen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten.Wirtschaftsmodell der Zukunft?
Die Gemeinwohl-Ökonomie will bewusst ein zukunftsfähiges Wirtschaftsmodell sein, weil sie auf ökologische Stabilität und sozialen Zusammenhalt baut. Dafür sorgen zum einen negative Rückkoppelungen, die der Konzentration von Reichtum und Macht entgegenwirken. Zum anderen würden sogenannte Ökologische Menschenrechte dafür sorgen, dass das globale Wirtschaften prinzipiell innerhalb der ökologischen Grenzen des Planeten stattfindet. Auch eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit, die Stärkung von öffentlichen und Gemeingütern, Ethischer Welthandel und die Vollgeld-Reform finden sich unter den Reformimpulsen.Alle Vorschläge der Gemeinwohl-Ökonomie sollen in Bürger*innenbeteiligungsprozessen diskutiert und entschieden werden, dafür wurden die "Demokratischen Wirtschaftskonvente" entwickelt. Erste Versuche zeigen, dass die Bevölkerung die Ungleichheit bei Einkommen rund um den Faktor zehn (die höchsten Einkommen dürfen maximal das Zehnfache der Mindesteinkommen ausmachen) festlegen würde. Aktuell reicht die Ungleichheit in Deutschland bis zum Faktor 80.000, in den USA bis zum Faktor 350.000. Mithilfe "souveräner Demokratie" könnte auch die Zulassung systemrelevanter Banken, ihre Rettung mit Steuergeld, freier Kapitalverkehr in Steueroasen, die Fusion von Bayer mit Monsanto oder die Verlängerung von Glyphosat verhindert werden - die Wirtschaftsordnung wäre demokratisch stärker legitimiert als heute.