Zuhören ist auch, sich selbst innerlich zuhören
INTERVIEW: Ein Gespräch mit Dr. Harald Schaub, Geschäftsführer Budenheim. Der Chemie-Spezialist Budenheim beschäftigt weltweit 1200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Mit Dr. Harald Schaub, einem von zwei Geschäftsführern und unter anderem verantwortlich für Personal, spricht Perspektiefe über die Notwenigkeit des Zuhörens in der Zusammenarbeit und in der Führung eines Unternehmens.
Schaub: Wenn Prozesse klar definiert sind, wie in der Produktion, wird eher in festen Teams gearbeitet. Die Mitarbeitenden sind in derselben Schichtgruppe, haben die gleiche Nacht- und Tagschicht und die gleichen Pausen. Sie haben damit feste Bezugspersonen.
Je kreativer Prozesse werden, beispielsweise in der Forschung und Entwicklung, desto dynamischer sind auch die Projektteams. Mitarbeitende aus verschiedenen Abteilungen bearbeiten gemeinsam einen Auftrag. Kollegen aus dem Vertrieb beraten mit Laborkollegen und Spezialisten den Kundenwunsch. Für die Kalkulation etwa kommt das Controlling dazu, für die Betriebsversuche die Produktion. Da ist viel Abstimmung, Kommunikationsvielfalt und Spontanität gefordert.
Kennen sich die Teams?
Schaub: Nicht unbedingt. Zur Unterstützung der zusammengesetzten Teams haben einige kürzlich, und das hat auch mit Zuhören zu tun, die Methode „Working Out Loud“ ausprobiert, die die Netzwerkbildung unterstützen soll.
Sie beginnt damit, dass man zehn Punkte von sich aufschreibt, die für die anderen interessant sein könnten. Ungewöhnlichere Aspekte, mit denen man etwas mehr von sich preisgibt, stärken die Aufmerksamkeit der anderen und damit auch das Zuhören. Man baut darauf, dass die anderen wohlwollend und wertschätzend mit den Informationen umgehen. So können sich eine andere Art des Kennenlernens und neue Anknüpfungspunkte zwischen den Teammitgliedern entwickeln, und Vertrauen kann entstehen. In einem späteren Schritt ist man gefordert, 50 Punkte von sich mitzuteilen. Dadurch kommt man sehr schnell zu der Frage: Wer bin ich eigentlich? Was macht mich aus? Was kann ich anderen anbieten und geben?
Warum glauben Sie denn, dass es in Ihrem Unternehmen wichtig ist, sich zuhören zu können?
Schaub: Zuerst einmal heißt Zuhören für mich, meinem Gegenüber meine ganze Aufmerksamkeit und Präsenz zu geben, also nicht schon während des Gesprächs zu bewerten, über Gegenargumente nachzudenken oder mit meinen Gedanken woanders zu sein. Ich versuche, neben dem gesprochenen Wort auch die nonverbalen Botschaften wahrzunehmen und gleichzeitig zu bemerken, was sie bei mir auslösen, ohne in diesem Moment darüber nachzudenken. Im weiteren Sinne möchte ich einen Raum bieten, damit mein Gegenüber sich auslassen kann, seinen emotionalen Rucksack ausleeren kann.
Wie machen Sie das in der Praxis?
Schaub: Gehen wir davon aus, dass ein Mitarbeiter sich über etwas furchtbar aufgeregt hat. Er kommt wütend in mein Büro. Dann ist es wichtig, dass der andere sich entladen kann, ohne dass ich mich einbringe. Ich halte mich also inhaltlich zurück und halte ihm den Raum, auch wenn es im Verlauf des Gesprächs zu Punkten kommt, die mich aufgrund meiner persönlichen Geschichte emotional treffen und ich gerne etwas entgegnen oder erwidern würde.
Erst wenn der emotionale Rucksack meines Gegenübers ausgeleert ist, frage ich, ob ich mich dazu äußern soll. Diese Art des Zuhörens verrät mir auch viel über mich.
Haben Sie das immer schon so gedacht?
Schaub: Nein. Das ist eine Entwicklung der letzten Jahre. Früher konnte ich das überhaupt nicht, ich war extrem verkopft, mit kontrollierten Gefühlen. Vorsichtig gesagt, halte ich diese Art von Zuhören für eine erstrebenswerte Kulturtechnik.
Wie verständigen Sie sich mit Ihrem Kollegen in der Geschäftsführung? Gibt es Zeit fürs Zuhören?
Schaub: Wir gehen drei bis vier Mal im Jahr gemeinsam für einen halben bis einen Tag in Klausur. Manchmal suchen wir uns einen Ort außerhalb des Unternehmens, manchmal bleiben wir hier. Dabei geht es uns nicht nur darum, eine Agenda abzuarbeiten und Entscheidungen zu treffen, sondern auch darum, Momente zu finden, uns über unsere Gefühle auszutauschen. Bei einem unserer Treffen haben wir beispielsweise mal aufgeschrieben, welche Gefühle wir in Bezug auf unseren chinesischen Standort haben. Wichtig war uns dabei, dass es der andere mal hören kann.
Wir haben auch Schwestergesellschaften in Spanien, USA, Mexiko. Aus meiner Erfahrung ist es gut, dort mit einem leeren Zettel hinzufahren. Ich bin gerne vor Ort, wir sitzen oder gehen zusammen, kommen ins Gespräch und meistens entwickeln sich aus der entspannten Atmosphäre fruchtbare Ideen. Die Gesprächspartner wünschen sich das noch häufiger und auch ich freue mich auf diese Meetings. Ich bin aus meiner gewohnten Umgebung raus, kann mich voll auf die Menschen vor Ort konzentrieren, kann zuhören, Fragen stellen und wir schenken uns gegenseitig viel Zeit. Ich habe gerne den unmittelbaren Kontakt, weil ich, so scheine ich gestrickt zu sein, dann noch mehr wahrnehme.
Gibt es in Ihrem Unternehmen Maßnahmen, damit sich Mitarbeitende in Zuhören und Achtsamkeit schulen können?
Schaub: Seit einem Jahr bieten wir jedem Mitarbeitenden an, an einem Achtsamkeitstraining (Mindful Based Stress Reduction, kurz MBSR) teilzunehmen – innerhalb des Unternehmens mit Kollegen oder außerhalb – etwa am Wohnort. Einmal in der Woche trifft man sich für zweieinhalb Stunden in einer Gruppe und jeden Tag hat man die Aufgabe, etwa eine Dreiviertelstunde zu üben. Ungefragte Hilfe kann ungefragt Leid erzeugen. Daher besteht keine Pflicht zur Teilnahme, sondern nur ein Angebot.
Es gibt aber auch einzelne Initiativen. Von einem Kollegen beispielsweise weiß ich, dass er sich mit seiner Mannschaft in gewaltfreier Kommunikation geübt hat. Das spricht sich dann herum und zieht größere Kreise.
Und auch im Führungskräfteprogramm für die neuen Führungskräfte kommt das Thema Zuhören und Achtsamkeit vor.
Haben Sie ein aktuelles Zuhören-Erlebnis?
Schaub: Ende Mai kam der neu eingestellte Leiter Produktion und Technik eines unserer spanischen Werke nach 6 Wochen vor Ort nach Deutschland, um auch hier seine neuen Kollegen kennenzulernen. Jeden Tag spiegelte er mir seine Erfahrungen wider. Er war davon begeistert, dass er nicht nur in Spanien sehr warmherzig und offen aufgenommen wurde, sondern sich auch in Deutschland wie in einer Familie fühlte. „Ihr könnt wirklich toll zuhören“, sagte er und fragte mich, wie ich das gemacht habe, weil ich vermutlich einen großen Einfluss auf die Kultur gehabt hätte. Ich antwortete ganz kurz, er sprach weiter.
Wie wichtig ist Zuhören im Kundenkontakt?
Schaub: Wir haben im Unternehmen Kundenzentriertheit ausgerufen als etwas, woran wir uns orientieren wollen. Wenn der Kunde zum Beispiel Fragen hat, wollen wir, rund um den Globus, schneller antworten können. Manchmal hindert uns unsere Mentalität daran. Wir wollen eine hieb- und stichfeste Antwort geben, das heißt, wir prüfen lieber fünf Mal, bevor wir dem Kunden antworten. Fürs Erste hätte aber vielleicht auch eine schnellere, weniger differenzierte Antwort gereicht. Damit hätten wir schon ein Signal geschickt, dass wir den Kunden mit seinen Wünschen wahrnehmen und Dialogoffenheit zeigen.
Im Kundenkontakt ist es also besonders wichtig, genau hinzuhören, das heißt auch zu differenzieren, was der Kunde sagt und was man selbst interpretiert.
Ein anderes Beispiel: Manchmal ertappen wir uns dabei, dass wir einem Kunden mit einer Beschwerde sofort nachweisen wollen, dass wir keinen Fehler gemacht haben. Aber dem Kunden geht es vielleicht um etwas ganz anderes, und findet den Weg zu uns über eine Beschwerde. Und es gibt ja nicht den Kunden. Ist es der Einkäufer, der Versuchsleiter oder der Produktionsleiter eines Unternehmens? Welche Motivation hat er? Ist es der Einkäufer, der auf Preise achten muss, ist es der Chemiker im Labor, der ein ganz bestimmtes Produkt benötigt und das auch dokumentieren muss?
Die unterschiedlichen Rollen rauszuhören und zu fühlen ist extrem wichtig. Ich glaube, da können wir noch besser werden und wachsen.