Künstliche Intelligenz
HINTERGRUND: Der Begriff Künstliche Intelligenz (kurz: KI) ist seit geraumer Zeit zu einem buzzword avanciert. Im Zusammenhang mit Computerprogrammen und -spielen wird offensiv mit einer hohen KI geworben; der Begriff taucht auf im Kontext der sogenannten Industrie 4.0, auch die sich allmählich etablierenden Roboter im Bereich der Altenpflege werden, so heißt es, mit einer zunehmend besseren Künstlichen Intelligenz ausgestattet. Der kürzlich verstorbene Physiker und Nobelpreisträger Stephen Hawking warnte indessen – ebenso wie der Tesla-Chef Elon Musk – mehrfach vor der KI und sah darin eine potenzielle Gefahr für den Fortbestand der Menschheit.
von: Dr. Thomas Damberger, Private Pädagogische Hochschule Linz„Was wir also gemeinhin natürliche Intelligenz nennen, ist nichts, was eindeutig und unzweifelhaft bestimmbar wäre, sondern im Wesentlichen ein Konstrukt.“ Dr. Thomas Damberger Um einzuschätzen, ob die Künstliche Intelligenz ein Fluch oder doch vielmehr ein Segen darstellt, erscheint es sinnvoll, zunächst einmal zu beleuchten, um was es sich im Falle der KI eigentlich handelt. Künstliche Intelligenz ist, so eine naheliegende Erklärung, eine künstliche, d.?h. von Menschen hergestellte Form der natürlichen Intelligenz. Problematisch an diesem Satz ist die Tatsache, dass es alles andere als eindeutig ist, was denn die natürliche Intelligenz eigentlich sein soll. Der deutsche Psychologe William Stern hat 1912 Intelligenz als eine allgemeine Fähigkeit eines Individuums charakterisiert, sein Denken bewusst auf neue Forderungen einzustellen. Analysiert man nun aber den Diskurs rund um das Thema Intelligenz, so wird man zahlreiche unterschiedliche Theorien und Modelle von Intelligenz feststellen. So veröffentlichte Charles Edward Spaerman bereits mehrere Jahre vor Stern seine breit rezipierte Generalfaktorentheorie, die in den 1940er-Jahren von Louis Leon Thurstone zu einem Modell erweitert wurde, das nicht nur zwei, sondern mehrere gemeinsame Faktoren umfasst. Gut 20 Jahre später entwickelte Raymond Bernhard Cattell die Theorie einer kristallinen bzw. fluiden Intelligenz. Und wiederum 20 Jahre danach legte Adolf Otto Jäger Anfang der 1980er-Jahre sein Berliner Intelligenz-Strukturmodell vor, dem – fast zeitgleich – der in Harvard lehrende Howard Gardner 1983 eine Theorie der multiplen Intelligenz gegenüberstellte. Was wir also gemeinhin natürliche Intelligenz nennen, ist nichts, was eindeutig und unzweifelhaft bestimmbar wäre, sondern im Wesentlichen ein Konstrukt.
KI und Deep Learning
Es ist daher naheliegend, dass die KI nicht das künstliche Äquivalent der natürlichen Intelligenz sein kann. Vielmehr handelt es sich hierbei um die Simulation von intelligentem Verhalten. John McCarthy (1927–2011) hat Mitte der 1950er-Jahre am Dartmouth-College in Hanover (New-Hampshire, USA) eine in der Öffentlichkeit kaum beachtete Konferenz organsiert, die sich dem Thema Künstliche Intelligenz widmete. Zu den Anwesenden gehörten Computerpioniere wie Nathan Rochester, Claude Shannon und Marvin Minsky. In ihrem Antrag zur Finanzierung der Veranstaltung, den McCarthy et al. bei der Rockefeller-Foundation einreichten, haben sie die KI sinngemäß als Fähigkeit einer Maschine beschrieben, etwas zu tun, wozu ein Mensch, wenn er es täte, Intelligenz benötigen würde. Folgt man dieser Beschreibung, so wäre das, was ein einfacher Taschenrechner leistet, eine Form von Künstlicher Intelligenz. Menschheitsbedrohend scheint das zunächst einmal nicht zu sein. Seit Anfang dieses Jahrtausends erlebt die Forschung und Entwicklung rund um den Bereich Künstliche Intelligenz eine Renaissance. Man orientiert sich dabei am menschlichen Gehirn. Dieses besteht im Wesentlichen aus Neuronen, die über Synapsen miteinander in Verbindung stehen. Erhält ein Neuron einen Reiz, entwickelt sich in der Zelle ein Ionenstrom. Bis zu einem bestimmten Schwellenwert geschieht gar nichts. Erst wenn der Schwellenwert überschritten wird, feuert das Neuron ein Signal an die Nachbarzellen. Das wiederum erinnert an das Prinzip des Digitalen, das lediglich die Zustände 0 und 1 (und nichts dazwischen) kennt. Der als Maschinelles Lernen bzw. Deep Learning bezeichnete Ansatz besteht nun darin, mit informatischen Mitteln die Neuronenverbände des Gehirns zu einem sogenannten Künstlichen Neuronalen Netz (kurz: KNN) nachzubauen. Während die Vernetzung der Neuronen im menschlichen Gehirn ausgesprochen unübersichtlich ist, besticht ein KNN durch einen klaren, hierarchischen Aufbau. Die erste Schicht künstlicher Neuronen (man spricht hier auch von Knoten) wird als Eingabeschicht bezeichnet. Die Knoten dieser Schicht sind mit Knoten der darunterliegenden Schicht verbunden und diese wiederum mit den Knoten der nächsten Schicht usw. Die letzte Schichte wird Ausgabeschicht genannt. Trainiert wird ein Künstliches Neuronales Netz, indem man ihm z.?B. zahlreiche Fotos zeigt, auf denen menschliche Gesichter zu sehen sind. Nach und nach entwickelt das System auf Basis dieser Fotos ein Feature-Set, sprich: ein Modell, welches Auskunft darüber gibt, wie ein menschliches Gesicht aussieht. Dabei geht das KNN systematisch vor. In der ersten Schicht werden helle und dunkle Pixel unterschieden, später dann Geraden von Ungeraden usw. Schicht für Schicht wird das Feature-Set differenzierter, sodass das System am Ende ein brauchbares Modell von einem menschlichen Gesicht hat. Im Anschluss gilt es für das System zu lernen, ob das jeweils präsentierte Foto ein menschliches Gesicht enthält oder nicht. Wird ein solches vom System richtig erkannt, folgt ein positives Feedback. Das Feedback sorgt dafür, dass die Verbindungen bestimmter künstlicher Neuronen verstärkt werden. Ein ausbleibendes positives Feedback sorgt hingegen für eine Schwächung der Verbindung. Je mehr Daten das System erhält, desto bessere Ergebnisse kann es liefern. Wenn Google, Facebook, Amazon und Co. ihre jeweiligen KI-Systeme durch Milliarden von Bildern trainieren, die NutzerInnen über soziale Netzwerke oder Cloud-Dienste zur Verfügung stellen, können sie schnell ausgezeichnete Resultate erzeugen. Ein KI-System, das sich vollständig durch Algorithmen beschreiben lässt und auf einem bestimmten Gebiet (bspw. in der Mustererkennung) sehr gute Leistungen erzielt, wird als schwache KI bezeichnet. Diese Form der KI existiert gegenwärtig. Dem gegenüber steht die starke KI, deren Möglichkeit von vielen, aber nicht allen Experten bestritten wird. Mit einer starken KI hätten wir es zu tun, wenn ab einem bestimmten Komplexitätsgrad die KI eine Form von Bewusstsein entwickeln würde. Eine Art Zwischenform stellt die generelle bzw. universelle KI (englisch: Artificial General Intelligence, kurz: AGI) dar. Das KI-System ist hier in seinen Leistungen nicht nur auf ein einziges Gebiet beschränkt, sondern kann in allen möglichen Bereichen wirksam werden. Ein Bewusstsein muss damit nicht einhergehen. Auch die universelle KI existiert derzeit noch nicht.Anwendungsgebiete & Aussichten
Ein großes Anwendungsgebiet Künstlicher Intelligenz liegt im Bereich computer vision, d.?h. in der Bilderkennung. Gängige Fotoprogramme sind bereits heute in der Lage, Gesichter auf Fotos zu erkennen und mit Namen und weiteren Daten zu verknüpfen. Im großen Maßstab wird dieses Anwendungsgebiet der KI gegenwärtig in China im Rahmen mehrerer Pilotprojekte eingesetzt. Beispielsweise sind in Shanghai, einer Metropole mit über 24 Millionen Einwohnern, Tausende von Kameras im öffentlichen Raum angebracht, die den Verkehr überwachen. Dabei werden keineswegs nur Kraftfahrzeuge und deren Nummernschilder erfasst, sondern auch die Gesichter der Fußgänger, Fahrrad- und Scooterfahrer usw. Wird ein Verkehrsverstoß registriert, erhalten die Verkehrssünder direkt eine Kurznachricht auf ihr Smartphone. Unternehmen wie Affectiva und Emotient verwenden Künstliche Intelligenz zur automatischen Gefühlsanalyse. Bereits mithilfe der Frontkamera eines Smartphones ist es auf diese Weise möglich, minimale Bewegungen der Gesichtsmuskulatur, die wir bewusst nicht steuern können, die aber wertvolle Informationen über unsere emotionale Verfassung liefern können, zu registrieren und auszuwerten. Computer können auf diese Weise nicht nur feststellen, was wir tun, sondern auch, wie wir uns fühlen, während wir es tun. Fitnessarmbänder und Smartwatches können mit KI-Unterstützung spezifische biometrische Daten – beispielsweise den individuellen Puls – erfassen und einer ganz bestimmten Person zuordnen. Der Herzschlag wird dadurch zur persönlichen und unverwechselbaren Signatur. Künstliche Intelligenz findet Anwendung im Bereich der Spracherkennung. Dass Alexa, Siri und Cortana uns zunehmend besser verstehen, ist Ergebnis von KI und Deep Learning. Und mehr noch: Auf Basis weniger Daten sind Natural-Language-Generation-Anwendungen (NLG) in der Lage, eigenständig Texte zu konzipieren. Etliche Zeitungsartikel und Beiträge auf Unternehmenswebseiten werden bereits heute von KI-Anwendungen verfasst. Wenn hinreichend viele Daten zur Verfügung stehen, wird es möglich sein, ganze (Schul-)Bücher, individuell und auf die Bedürfnisse des Users ausgerichtet, automatisiert generieren zu lassen. Das Weltwirtschaftsforum mit Sitz in Genf geht davon aus, dass 2025 große Konzerne maßgeblich in ihren Entscheidungen von Künstlicher Intelligenz unterstützt werden. Eine Studie des McKinsey Global Institute hat bereits 2013 die KI als zweitwichtigste disruptive Technologie hervorgehoben (Platz 1 ist das mobile Internet). KI wird verstärkt im militärischen Kontext Einsatz finden, ausgehend von Drohnen, die ihre Ziele auf Basis der vorhandenen Daten erfassen, verfolgen und „ausschalten“, über Kampfroboter bis hin zu Soldaten, deren Seh-, Hör-, Kommunikations- und vor allem Kampffähigkeit durch KI „enhanced“ (deutsch: verbessert) wird. Im zivilen Bereich werden persönliche Assistenten à la Siri, Alexa usw. zunehmend zum Einsatz kommen. Diese Systeme werden über zahlreiche Sensoren in unserer Umgebung (auch in unserer Kleidung und unseren Gebrauchsgegenständen) mehr über uns, unsere Lebensweise, unsere Gesundheit, unsere finanziellen, beruflichen und zwischenmenschlichen Potenziale in Erfahrung bringen und uns beratend und unterstützend zur Seite stehen. Durch solche Systeme wird unsere Leistungsfähigkeit zunehmen, unser Humankapital wird optimiert, und genau deswegen wird es eine ökonomische Notwendigkeit sein und nur scheinbar eine freie Wahl, auf die Möglichkeiten, die uns die Künstliche Intelligenz bieten wird, zurückzugreifen. Die Kehrseite dieser Technologie ist die Gefahr der Kontrolle, der Steuerung und der Manipulation und damit genau das Gegenteil dessen, was nicht nur das große Ziel der Aufklärung war, sondern (angeblich) noch immer den Anspruch von Bildung und Demokratie darstellt: Mündigkeit.Zum Autor
Thomas Damberger promovierte 2012 an der Technischen Universität Darmstadt mit einer kritischen Analyse pädagogischer und technologischer Versuche der Menschenverbesserung. Die Arbeit wurde 2013 mit dem Preis für hervorragende wissenschaftliche Arbeiten der Ernst-Ludwigs-Hochschulgesellschaft ausgezeichnet. Seit Oktober 2018 ist Thomas Damberger an der Privaten Pädagogischen Hochschule in Linz tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen: Medienbildung, Theorie und Philosophie der Bildung und Erziehung, Human Enhancement und Transhumanismus.Veranstaltung zum Thema KI
Fachtag mit Prof. Dr. Thomas Damberger28. Februar 2019, 10.00 Uhr bis 16.30 Uhr
Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN, Mainz