„Die Vermessung des Menschen“ – christliche Anthropologie im Zeitalter der Digitalisierung
KOMMENTAR: Am 13. Februar 1989 wurde eine neue Folge von „Star Trek: The Next Generation“ ausgestrahlt: „The Measure of a Man (dt.: Wem gehört Data). Mittlerweile hatten sich die Fernsehzuschauer an die neue Crew des Raumschiffes Enterprise gewöhnt, bei deren Reisen in fremde Welten stets auch ein ganz spezielles Besatzungsmitglied dabei ist, nämlich der Android Lt. Commander Data. Als künstliche Lebensform ist es sein Ziel, menschlicher zu werden. Obwohl dem Menschen kognitiv und physisch weit überlegen, studiert Data intensiv menschliches Verhalten, sucht menschliche Emotionen zu verstehen und zu imitieren, scheitert jedoch dabei stets an seiner technisch bedingten Unfähigkeit eigene Emotionen zu erleben.
Was ist der Mensch?
The „Measure of a Man“ verhandelt im Gewand einer Fernsehserie der 1980er-Jahre eine grundlegende Frage, die schon Kant gleichsam als Bündelung der Fragen, was wir wissen können, tun sollen und hoffen dürfen, verstanden hat: Was ist der Mensch? Vor 30 Jahren mag das rein unterhaltsame Science-Fiction gewesen sein. Immerhin hatten Smartphone, Internet und Künstliche Intelligenz noch nicht ihren Siegeszug begonnen. Der Wilhelmshavener Schreibmaschinenhersteller Olympia etwa war zu diesem Zeitpunkt noch der Überzeugung, dass Computer sich gegenüber der Schreibmaschine niemals durchsetzen würden. Ein tragischer Irrtum – wenige Jahre später wurde das Werk geschlossen. Innerhalb nicht einmal zweier Dekaden haben sich die ersten, riesigen Computer nicht nur auf Hosentaschengröße verkleinert, sondern geben uns Zugang zur Welt in einem bis dato ungekannten Ausmaß. Wir haben das Gutenberg-Zeitalter verlassen und sind im globalen digitalen Zeitalter angekommen. Online wird Handel getrieben, nach Informationen gesucht, mit Freunden kommuniziert oder gar ein neuer Liebespartner gefunden. Diese rasante Medienevolution ist durchaus eine Medienrevolution. Während der Android Data eine zum Lachen und Nachdenken anregende Figur einer Science-Fiction-Serie ist, aus Zeiten, in denen ein Android in der Tat eine absurde Vorstellung war, ist nun gegenwärtig kaum ein Thema so emotional aufgeladen, wie die Frage Künstlicher Intelligenz. Der Pflegeroboter Pepper und der Segensroboter BlessU-2 haben umfangreiche Kontroversen ausgelöst. In der aufgeladenen Stimmung solcher Debatten lässt sich erahnen, dass es hier um sehr grundsätzliche anthropologische Fragen geht. Die technischen Innovationen der letzten Jahre bedürfen offenbar einer neuen Antwort auf eine alte Frage: Was ist der Mensch? Bemerkenswert ist nun, wie extrem die Positionen zur Digitalisierung ausfallen können. Die Debatte changiert zwischen Untergangsszenario und Heilsversprechen. Das gilt übrigens auch für Religion und Kirche. Mahnende Worte, das Mensch-Sein inmitten eines technisch rasanten Fortschritts nicht zu vergessen, finden sich ebenso wie intensive kirchliche Digitalisierungsstrategien, die bisweilen aber recht hilflos wirken im Horizont dessen, was gegenwärtig andernorts erprobt und entwickelt wird. Die Zukunft gestalten zu wollen – das eint jedoch die verschiedenen Positionen. Nur hat die Zukunft schon begonnen; und der Transformationsprozess, den wir gegenwärtig erleben, hat längst die Art, wie wir leben, kommunizieren, fühlen und denken, dramatisch verändert. Was fehlt, ist ein tiefer gehendes Nachdenken über zeitgemäße anthropologische Grundlagen christlicher Religion. Der Hinweis auf „das“ christliche Menschenbild, um etwa potenziellen Gefährdungen der Digitalisierung zu begegnen, reicht da allein kaum mehr aus. Es ist vielmehr hilfreich, sich daran zu erinnern, wie sehr sich alles, was da heute bisweilen als christliches Menschenbild firmiert, letztlich selbst sehr spezifischen, historisch bedingten Transformationsprozessen verdankt. Übersehen wird angesichts der gegenwärtig als Beunruhigung empfundenen Veränderungen gelegentlich, dass der Protestantismus selbst seine Entstehung einer medientechnischen Innovation verdankt: dem Buchdruck. Und das, was wir heute in theologischen und gesellschaftlichen Diskursen selbstverständlich als Individualität, Subjekt, Mensch und Humanismus begreifen, wurde im Zeitalter der Aufklärung grundgelegt – einer Zeit, die der Historiker Reinhart Koselleck als bahnbrechende „Sattelzeit“ beschreibt. Was der Mensch ist, lässt sich eben nicht unabhängig von den gesellschaftlichen Kontexten oder als unveränderliche Tatsache denken. Und es lässt sich ebenso wenig ausschließlich im Rückgriff auf vergangene Zeiten normativ beantworten. Ganz gleich, ob man nun dem Data aus dem Jahr 1989 bei seinen Versuchen zuschaut, menschlich zu sein, oder etwa Michel Serres’ beeindruckende „Liebeserklärung an die vernetzte Generation“ („Erfindet Euch neu!“) liest: Für Theologie und Kirche sind spannende Zeiten angebrochen, herausfordernd, aber zugleich auch faszinierend. Jenseits mahnender moralischer Empörung oder atemlos wirkender Digitalisierungsbemühungen wäre es dann sinnvoll und geboten, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und neue Kommunikationstechnologien als Chance zu einer Re- bzw. Neu-Formulierung christlicher Anthropologie zu verstehen und ebenso tradierte theologische Denkfiguren neu zu vermessen. Das alles übrigens wäre zudem gut evangelisch, denn schließlich bedarf die Kommunikation des Evangeliums einerseits der Aufmerksamkeit für kommunikative Kontexte und übersieht andererseits nicht, dass schon mit dem Wort Evangelium ein Medienphänomen gemeint ist: nämlich der Versuch, die Erfahrungen mit Jesus Christus anderen je in ihrer Zeit zu vermitteln.Zum Weiterlesen
Hilfe in der Pflege: Roboter „Pepper“ stellt sich vor:www.mdr.de/wissen/pflegeroboter-pepper-100.html Weltweit erster Segensroboter „BlessU-2“ auf der Weltausstellung:
https://gott-neu-entdecken.ekhn.de/veranstaltungen-projekte/projekte-der-ekhn/segensroboter-blessu-2.html Michel Serres, Erfindet Euch neu! Eine Liebeserklärung an die vernetzte Generation, Frankfurt/M. 2013.