Vielfalt leben
INTERVIEW: Der Commerzbank-Konzern bietet seinen 52.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Vielzahl von Maßnahmen an, um Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren zu können. Ein Gespräch mit Barbara David, Leiterin der Abteilung Diversity Management und Betriebsrätin Nicole Diefenthäler von der Commerzbank AG.Das Gespräch führten: Dr. Brigitte Bertelmann und Margit Befurt, ZGV
Seit über 20 Jahren setzt sich die Commerzbank für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. Wie weit sind Sie bis heute gekommen?
David: Begonnen haben wir Ende der 80er Jahre zunächst mit Überlegungen, wie wir Mütter im Unternehmen besser unterstützen können. Daraus entwickelten sich im Laufe der nächsten Jahre vielseitige Angebote wie z. B. Krippen-, Kita- und Schülerhortplätze oder Kinderausnahmebetreuung. Auch Frauen ohne Kinder wünschten sich Unterstützung für mehr Chancengleichheit. Und Mitte der 90er Jahre machten die ersten Männer Chancengleichheit zu ihrem Thema.
Ende der 90er Jahre hat sich das Arbeiten im Unternehmen durch Globalisierung, demografischen Wandel, Individualisierung und Einführung neuer Techniken stark verändert und zu mehr Vielfalt geführt.
Die Commerzbank bietet deshalb im Rahmen des Diversity Managements Maßnahmen an, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer jeweiligen Lebenssituation unterstützen sollen. Der Mensch jeden Alters, egal ob Mann oder Frau, hetero- oder homosexuell, mit unterschiedlich kulturellem Hintergrund, mit und ohne Kinder, steht im Mittelpunkt. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zieht sich bis heute als roter Faden durch. Früher lag das Interesse fast ausschließlich bei der Kinderbetreuung, heute gewinnen beispielsweise Themen wie die Pflege naher Angehöriger größere Bedeutung.
Wie unterstützt die Commerzbank ihre Beschäftigten bei der Pflege von betreuungsbedürftigen Angehörigen?
Diefenthäler: Unsere Mitarbeiter/-innen haben die Möglichkeit in einer akut auftretenden Pflegesituation eine Freistellung von bis zu 10 Arbeitstagen kurzfristig in Anspruch zu nehmen. Die Commerzbank bietet ihnen darüber hinaus auf freiwilliger Basis 5 weitere Tage Freistellung an. Daneben gibt es die Möglichkeit einer vollständigen oder teilweise Freistellung von insgesamt bis zu 24 Monaten. Diese Angebote sollen eine Entlastung in der schwierigen Situation, die durch die Pflege von Angehörigen oft sehr kurzfristig auftritt, geben. Bisher wurde von der vollständige Freistellung nicht oft Gebrauch gemacht. Andere Instrumente, wie das Arbeiten von zuhause in Telearbeit oder die befristete Reduzierung der Arbeitszeit werden häufig genutzt.
David: Sehr stark nachgefragt werden derzeit besonders Beratungsangebote und Schulungen. Der pme Familienservice, mit dem die Bank kooperiert, berät die Beschäftigten individuell. In dringenden Fällen steht ihnen eine Service-Hotline (24 Stunden an 7 Tagen/Woche) zur Verfügung. Die Beratung ist für Mitarbeiter der Bank kostenfrei.
Schulungen bieten den Beschäftigten beispielsweise Informationen über finanzielle und rechtliche Aspekte sowie über das Thema Vollmachten an. Praktische Hilfen im Alltag bei der Pflege sowie Informationen über Krankheitsbilder wie Demenz und Depression im Alter sind ebenfalls Inhalt der Veranstaltungen.
Kurzfristig kann auf Betreuungslösungen zurückgegriffen werden. Wenn beispielsweise die
reguläre Betreuung eines erkrankten (auch dementen) Elternteils ausfällt, kann dieser in einer Tagesklinik untergebracht werden.
Unterstützung finden Beschäftigte auch im bankinternen Netzwerk Pflege. Das Netzwerk ist Anlaufstelle für alle, die von einer Pflegeaufgabe betroffen sind und bietet die Möglichkeit, Informationen und Erfahrungen, z. B. über Einrichtungen oder Ärzte, auszutauschen, aber auch, sich gegenseitig zu stärken.
Wir versuchen in einer Art Bausteinsystem möglichst viele verschiedene Angebote zu machen, die den Beschäftigten bei ihrem individuellen Problem die passende Lösung anbieten.
Diefenthäler: Die Nachfrage im Bereich Pflege von Angehörigen ist bereits in den letzten Jahren stark angestiegen und wird in den nächsten Jahren noch weiter steigen, Das Durchschnittsalter der Beschäftigten bei der Commerzbank liegt bei 43 Jahren. Somit kommen auch deren Eltern in ein Alter, in dem sie in der Regel Unterstützung benötigen werden.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht nur Frauensache. Welche Maßnahmen bieten Sie Männern an, beides zu verbinden und wie werden sie angenommen?
David: Wenn es um Pflege von Angehörigen geht, rufen interessanterweise überwiegend Männer die Hotline an oder machen ein Beratungsgespräch aus.
Elternzeit ist nach wie vor ein sehr weibliches Thema. Überwiegend Frauen nutzen die längere Elternzeit. Aber auch Männer gehen heute häufiger in die meist zweimonatige Elternzeit als noch zu Beginn der Gesetzeseinführung. Waren es damals unter 0,1 % sind es heute schon 16 %.
Alle drei Monate bieten wir samstags ein Vater-Kind-Frühstück an. Zwischen 25 und 30 Vätern nehmen regelmäßig daran teil. Zuerst wird gemeinsam gefrühstückt, anschließend informieren sich die Väter über ein Thema. Das Topthema im Moment: „Wie spiele ich mit meinem Kind?“ Die Kinder werden in dieser Zeit betreut und anschließend machen Väter und Kinder wieder etwas gemeinsam. Die Väter bringen ihre Freizeit ein und die Bank finanziert den Ort, das Catering und die Betreuung.
Väter können sich auch im bankinternen Netzwerk Fokus Väter einbringen. Es wurde 2004 von Vätern gegründet, die ihre Vaterrolle so leben möchten, dass sie an der Entwicklung ihrer Kinder teilhaben und sie mitgestalten können.
Häufig befürchten Männer Karrierenachteile, wenn sie diese Maßnahmen nutzen. Wie nimmt das Unternehmen den Männern die Angst?
David: Es ist nach wie vor so, dass einige Männer Karrierenachteile befürchten. Mit einer Arbeitszeitkampagne versuchen wir, diese Bedenken zu zerstreuen. Wir informieren alle Beschäftigten
über die Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung und zeigen an guten Beispielen, wie es funktionieren kann.
Unser Pilotprojekt Top Sharing, das bis in die zweite Führungsebene erprobt wurde, hat gezeigt, dass Arbeitszeitveränderungen auch in Führungspositionen möglich sind. Damit eine Führungskraft nicht jeden Tag und jede Stunde vor Ort sein muss, um einen regulären Geschäftsablauf zu gewährleisten, wurde eine Vertretungsregelung entwickelt. Eine Führungskraft wird fachlich während der Abwesenheit vertreten, behält aber die disziplinarischen Befugnisse.
Vorbilder sind in diesem Prozess wichtig: Zwei männliche Bereichsvorstände sind in Elternzeit gegangen. Darüber wurde sehr ausführlich in den internen Medien berichtet und ist Motivation, dass noch mehr Mitarbeiter über diese Möglichkeit nachdenken und dem Beispiel folgen werden. Und je mehr Beschäftigte die Angebote nutzen, desto normaler wird es.
Diefenthäler: Ein Kulturwandel geschieht eben nicht von heute auf morgen. Dazu braucht es gute Informationen, sichtbare Beispiele und Vorbilder, gute Kommunikation in der Breite und vor allem Kontinuität. Und die Führungskräfte des Konzerns sind der Dreh- und Angelpunkt, wenn es um Kulturwandel geht. Alle wurden zum Thema Diversity Management geschult.
Von wem erhalten Sie Unterstützung?
David: Wir erhalten sehr viel Unterstützung vom Vorstand der Bank und dem Betriebsrat. Einen ganz entscheidenden Anteil haben aber auch die sieben Mitarbeiternetzwerke. Sie organisieren nicht nur den Erfahrungsaustausch, sondern sind in der Bank die besten Lobbyisten für ihre Interessen.
Was erhofft sich das Unternehmen von den vielseitigen Angeboten für die Beschäftigten?
David: Wenn wir viele Lebenslagen mit unseren Angeboten berücksichtigen, den ganzen Menschen in den Mittelpunkt stellen, fühlen sich die Mitarbeitenden an das Unternehmen gebunden, sind motiviert und finden, sie arbeiten in einem tollen Unternehmen. Übrigens auch in schlechten Zeiten.
Diefenthäler: Die Commerzbank wird wegen ihrer vielen Zusatzleistungen und aufgrund ihrer Kultur als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen. Und die Bank braucht viele unterschiedliche Menschen an Bord, um erfolgreich zu sein und zu bleiben.