„Wir wollen, dass alle Menschen, egal, wo sie leben, ein Nahverkehrsangebot vorfinden, das sie selbstständig und bezahlbar nutzen können, wann immer sie es benötigen“
INTERVIEW: Seit Anfang des Jahres 2024 gibt es in Hessen das Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende. perspektiefe befragt Anja Zeller, Mitglied des Bündnisses und politische Geschäftsführung des Verkehrsclubs Deutschland, Landesverband Hessen e. V., zu den Zielen und Forderungen des Bündnisses.
Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Bündnis?
Der nachhaltige Beitrag des Verkehrssektors zum Klimaschutz ist längst überfällig. Noch lange nicht eingelöst ist das oft vernommene Versprechen, den Zugang zu nachhaltiger Mobilität allen Menschen in Hessen zu gewährleisten. Das aktuelle Verkehrssystem mit seinem Fokus auf dem privaten Autoverkehr muss so verändert werden, dass es die Lebensqualität und Gesundheit aller Menschen fördert. Dafür müssen dem Fuß- und Radverkehr sowie Bus und Bahn Priorität eingeräumt und entsprechend (Straßen-)Raum und finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Mobilität und Klimaschutz betrifft uns alle. Deshalb ist es wichtig, sich in breiten Bündnissen auf Forderungen und Handlungsempfehlungen zu verständigen. Denn eine Mobilitätswende muss nicht nur ökologisch, sondern auch sozial gerecht sein. Dafür setzt sich seit zwei Jahren das bundesweite Bündnis Sozialverträgliche Verkehrswende ein, in dem sich Gewerkschaften, Umwelt-, Verbraucherschutz- und Sozialverbände und die Evangelische Kirche in Deutschland zusammengeschlossen haben. Ein regionaler „Ableger“ mit den genannten Organisationen ist in Hessen entstanden, bei dem die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau beteiligt ist.
„Ob in der Stadt oder auf dem Land, mit hohem oder niedrigem Einkommen, jung oder alt, mit oder ohne körperliche Einschränkungen: Alle Verkehrsteilnehmenden müssen bedacht werden. Die einseitige Priorisierung des Pkw muss enden.“
Anja Zeller
Wir betrachten die Mobilitätswende als ganzheitliches Vorhaben: Mobilität als Element der Daseinsvorsorge, als Beitrag zu Gesundheit und Lebensqualität und als wichtigen Wirtschaftsfaktor, der zu unserem Wohlstand beiträgt. Ob in der Stadt oder auf dem Land, mit hohem oder niedrigem Einkommen, jung oder alt, mit oder ohne körperliche Einschränkungen: Alle Verkehrsteilnehmenden müssen bedacht werden. Die einseitige Priorisierung des Pkw muss enden. Außerdem sind die berechtigten Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Mobilitätswirtschaft an fairen Tariflöhnen und Mitbestimmung zu berücksichtigen.
Wie stellen Sie sich den Nahverkehr vor?
Wir wollen die Mobilitätsarmut in der Fläche beseitigen. Dies bedeutet, dass alle Menschen, egal, wo sie leben, ein Nahverkehrsangebot vorfinden, das sie selbstständig und bezahlbar nutzen können, wann immer sie es benötigen. Der ÖPNV soll überall zuverlässig und erreichbar sein. Momentan sind wir in Deutschland und Hessen von einem Angebotsnetz, das alle abholt, weit entfernt. Während man mit dem Pkw bequem seine Ziele erreicht, fehlen gerade im ländlichen Raum Mindestbedienstandards für den Nahverkehr. Das schließt viele Menschen aus oder zwingt sie, zuhause zu bleiben. Ihre gesellschaftliche Teilhabe ist massiv eingeschränkt. Von einem landesweiten attraktiven Umweltverbund würden alle Verkehrsteilnehmenden profitieren.
Sind Sie für das 49-Euro-Ticket als Beispiel für sozialverträgliche Mobilität?
Das 49-Euro-Ticket hat vieles einfacher gemacht, ist aber nicht für alle leicht zu erwerben oder zu bezahlen. Menschen, die keinen Zugang zu Digitalität haben oder sich dessen Abonnement nicht leisten können, sind von dem Angebot ausgeschlossen. Die Erfahrung mit dem vorausgehenden 9-Euro-Ticket hat gezeigt, dass gerade Menschen mit geringem Einkommen nur bei sehr günstigen Angeboten mobil sein können. Das Fehlen solcher Angebote schränkt die Teilhabe stark ein.
Wir fordern ein deutschlandweites Sozialticket, das nicht an Verbund- oder Landesgrenzen Halt macht. Gleichzeitig plädieren wir für eine preisstabile Verstetigung des 49-Euro-Tickets.