„Planetary Health“ im Anthropozän
Schutz von Gesundheit und Wohlergehen für Menschen, Tiere und Ökosysteme
HINTERGRUND: Menschen teilen ihr verletzliches Leben mit allem anderen Leben auf der Erde – ein riesiges, hochkomplexes Netzwerk aus Lebewesen und lebendigen Beziehungen. Im Zeitalter des Anthropozäns bekommt dieses tragende Netz zunehmend Lücken und verliert an Stabilität und Schwingungsfähigkeit. Aufgrund komplexer Wechselwirkungen zwischen geschädigten Ökosystemen können destruktive Dominoeffekte auftreten.
von: Dr. Maren Heincke, Referat Stadt- und Landentwicklung des ZGV, m.heincke@zgv.info
Als Folge davon ist der Mensch nicht mehr – wie vormals rein anthropozentrisch gedacht – als „Krone der Schöpfung“ anzusehen, sondern stärker als ein Bestandteil der Natur. Elementar angewiesen auf andere Lebewesen und abiotische Ressourcen wie sauberes Wasser, saubere Böden und Luft. Schädigt der Mensch durch seine Aktivitäten die Umwelt, schädigt er ganz direkt auch sich persönlich.
Neues Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt
Über viele Jahrzehnte hinweg hat sich die globale Gesundheitslage aufgrund des medizinischen Fortschritts und einer insgesamt verbesserten Ernährungs- und Hygienesituation stark verbessert. Die Kinder- und Müttersterblichkeit sank rapidee – auch in Entwicklungs- und Schwellenländern. Die durchschnittliche Lebenserwartung stieg kontinuierlich an. Die Weltbevölkerung wuchs von 3 Milliarden im Jahr 1960 auf heute 8 Milliarden Menschen an – überwiegend in den Ländern des Südens. Bis 2050 erwartet die UN 9,7 Milliarden Erdbewohner. Der zunehmende internationale Wohlstand wurde jedoch in Teilen durch die Übernutzung der natürlichen Ressourcen erkauft. In Krisenstaaten sowie bei vulnerablen Gruppen führt oft Armut zu massiven Umweltschäden. Heute bedrohen die akkumulierten Umweltrisiken teilweise Gesundheit und zivilisatorische Erfolge. Im Jahr 2022 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen deshalb den Zugang zu sicherer, sauberer, gesunder und nachhaltiger Umwelt als neues universelles Menschenrecht anerkannt. Dahinter steht die Entwicklung, Menschenrechtsschutz und Umweltschutz zunehmend als in gegenseitiger Abhängigkeit stehend zu verstehen. Regenwaldschutz und Schutz indigener Völker gehören in Südamerika z. B. eng zusammen. Innerhalb der Vereinten Nationen arbeiten WHO, FAO, UNEP und WOAH gemeinsam an einem „Planetary-Health-Ansatz“.
Der „One-Health-Ansatz“
Seit 2015 werden auf der internationalen Ebene der sogenannte „Planetary-Health-Ansatz“ bzw. der inhaltlich verwandte „One-Health-Ansatz“ inter- und transdisziplinär zwischen Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaften diskutiert. Beide Ansätze stehen für eine systematische wissenschaftliche Herangehensweise. Die komplexen Zusammenhänge zwischen den Bereichen Umwelt und menschliche Gesundheit werden analysiert und ganzheitliche Problemlösungen entwickelt. Beim „One-Health-Ansatz“ ist die Grundannahme, dass die Gesundheit der Menschheit, der Tier- und Pflanzenwelt sowie der Umwelt fundamental gegenseitig voneinander abhängen. Ein Fokus liegt auf ansteckenden Krankheiten und somit auf den Schnittstellen zwischen Human-, Veterinär- und präventiver Umweltmedizin. Inhaltliche Beispiele sind die Themenkomplexe Zoonosen, antimikrobielle Resistenzen sowie Lebensmittelsicherheit.
„Beim ‚One-Health-Ansatz‘ ist die Grundannahme, dass die Gesundheit der Menschheit, der Tier- und Pflanzenwelt sowie der Umwelt fundamental gegenseitig voneinander abhängen.“
Dr. Maren Heincke
Zoonosen
Durch die COVID-19-Pandemie gerieten die steigenden internationalen Risiken von Zoonosen – dem Übertragen von infektiösen Tierkrankheiten auf den Menschen – verstärkt ins politische und öffentliche Bewusstsein. Quellen für Zoonosen können sowohl Wildtier- als auch Nutztierbestände sein. Die Übertragungsrisiken für (neue) Zoonosen steigen aufgrund von häufigeren Kontaktflächen zwischen Menschen und Wildtieren. Beispielsweise bei illegalem Wildtierhandel oder dem fortgesetzten Eindringen des Menschen in die letzten unberührten Naturreservate der Erde. Werden in großen Beständen an Schweinen und Geflügel wichtige Standards der Tierhygiene und -gesundheit nicht eingehalten, erhöht sich ebenso die Gefahr von Zoonosen. Ungefähr zwei Drittel aller neuartigen infektiösen Krankheiten des Menschen stammen heute aus der Tierwelt. Beispiele für altbekannte Zoonosen sind Tollwut, Pest, Tuberkulose, Salmonellen. Neuere Zoonosen sind BSE, Schweinegrippe, Affenpocken, Vogelgrippe. Umgekehrt kann auch der Mensch aufgrund der engen Verwandtschaftsverhältnisse infektiöse Erkrankungen auf Tiere übertragen – z. B. den Menschenschnupfen auf Schimpansen.
Antimikrobielle Resistenzen
International werden übermäßig viele Antibiotika unprofessionell eingesetzt – sowohl in der Humanmedizin als auch in der Tiermedizin. Dadurch entstehen vermehrt antimikrobielle Resistenzen, welche in der EU zu den drei größten Gesundheitsgefahren zählen.
Besonders bedrohlich ist, dass nach wie vor – wider besseren Wissens – Reserveantibiotika in der Tierhaltung benutzt werden. Reserveantibiotika sollen eigentlich schwerstkranken Menschen, welche andere Antibiotikaresistenzen aufweisen, zwecks Lebensrettung vorbehalten sein. Zusätzlich können falsch entsorgte Antibiotika und sonstige Medikamente schwere ökologische Schäden in Gewässern, Grundwasser und Böden verursachen. Ökotoxikologische Untersuchungen zeigen, dass bereits Mikroverunreinigungen Gesundheitsschädigungen bei Algen, Amphibien und Fischen verursachen können.
Der „Planetary-Health-Ansatz“
Die Idee „Planetary Health“ problematisiert die Verbindung zwischen menschlicher und planetarer Gesundheit und geht von der Existenz einer „globalen Gemeinschaft“ aus. Der „Planetary-Health-Ansatz“ baut auf dem Konzept der „planetaren Belastungsgrenzen“ auf. Laut diesem Konzept sollen neun einzelne Systeme die Stabilität des gesamten Erdsystems gewährleisten. Aktuell werden die planetaren Belastungsgrenzen in Bezug auf genetische Vielfalt, biogeochemische Stoffflüsse von Stickstoff und Phosphor, Umweltverschmutzung durch „neuartige Stoffe“, Klimawandel und Landnutzungsänderung überschritten. Neben der Problematisierung der engen Verbindung von Umwelt- und Gesundheitsrisiken – einschließlich nicht übertragbare Krankheiten – werden beim „Planetary-Health-Ansatz“ intra- und intergenerationelle Gerechtigkeitsaspekte zentral thematisiert. Hypothese ist, dass bei einer katastrophalen und irreversiblen Destabilisierung der natürlichen Erdsysteme massive Schädigungen der politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Humansysteme entstehen würden.
Negative Gesundheitsfolgen des Klimawandels
Beispiele für die negativen Gesundheitsauswirkungen des anthropogenen Klimawandels sind die Zunahme der Hitzetoten und die Ausbreitung von neuen Infektionskrankheiten über wärmeliebende Insekten. Extremereignisse wie Stürme und Hochwasser können zudem die Public-Health-Systeme überfordern sowie zu starken sozialen und psychischen Belastungen führen. Ressourcenkonflikte um Wasser, fruchtbare Böden etc. destabilisieren Gesellschaften.
Negative Gesundheitsfolgen von Umweltkontaminationen
Die menschliche Gesundheit hängt u. a. über die Nahrungsnetze direkt von der Umwelt ab. Seit mehreren Jahrzehnten findet eine unbeabsichtigte globale Verteilung von Schadstoffen, persistenten Chemikalien und Mikroplastik in terrestrischen und maritimen Ökosystemen statt.
Diese Umweltkontaminationen fallen direkt lebenshemmend auf den Menschen zurück. So schätzt die WHO, dass weltweit 24 % aller Todesfälle in Zusammenhang mit Umweltverschmutzungen stehen. Die Gegenstrategie heißt „Zero Pollution“. Über Bioabfallkomposte wird z. B. Mikroplastik großflächig auf die Landwirtschaftsböden ausgebracht. Über die Wurzeln nehmen die Kulturpflanzen Mikroplastik mit auf. Anschließend gelangt es über die Nahrung in den menschlichen Körper. Eventuelle Gesundheitsfolgen davon sind noch unklar – die Anwendung des Vorsorgeprinzips wäre sinnvoll.