Ziviler Ungehorsam kann als politisches Warnzeichen produktiv und legitim sein
INTERVIEW: Drei Fragen an Rupert von Plottnitz, Rechtsanwalt und ehemaliger hessischer Justizminister.
Wie stehen Sie heute als Jurist und ehemaliger hessischer Justizminister zum zivilen Ungehorsam?
Von Plottnitz: Von staatlicher Willkürherrschaft, aber auch von den diversen Erscheinungsformen des autoritären Staates unterscheidet sich der demokratische Rechtsstaat dadurch, dass demokratisch legitimierte Gesetzgeber Gesetze beschließen, die sich an der in demokratischen Verfassungen inklusive der Menschen- und Bürgerrechte verankerten Werteordnung orientieren. Nur das gibt ihm das Recht, seine Verfassungs- und Rechtsordnung im Konfliktfall auch mit den Mitteln von Zwang durchzusetzen.
Allerdings ist auch der stärkste demokratische Rechtsstaat nicht immer und nicht überall vor Fehlentwicklungen, Missständen oder Defiziten gefeit, die von Teilen seiner Bürgerinnen und Bürger – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der von der Verfassung vorgegebenen Werteordnung – als unzumutbar oder gar existenziell bedrohlich wahrgenommen werden. Das galt hierzulande in der Vergangenheit für die Risiken der zivilen oder militärischen Nutzung der Atomenergie und gilt aktuell für die zunehmenden Gefahren des Klimawandels, der Bedrohung der Demokratie durch rechtsextremistischen Hass oder das kalte Schulterzucken, mit dem die Regierungen der Mitgliedsstaaten der EU das Sterben der Flüchtlinge im Mittelmeer quittieren.
Wer in der Hoffnung, damit für politische Abhilfe sorgen zu können, auf Missstände der geschilderten Art mit Aktionen des zivilen Ungehorsams antwortet, handelt nicht legal. Er nimmt die Verletzung geltenden Rechtes im Zweifel sehenden Auges in Kauf und wird deshalb in aller Regel auch gar nicht erst den Versuch unternehmen, sich auf die bestehende Legalität zu berufen. Trotzdem kann ziviler Ungehorsam im Einzelfall politisch durchaus legitim sein. Dies vor allem dann, wenn er strikt gewaltfrei und in der erkennbaren politischen Absicht geleistet wird, der Öffentlichkeit und den Gesetzgebern die Augen für die angeprangerte Fehlentwicklung zu öffnen. Ohne eine Rosa Parks, die sich in den Sechzigerjahren als Schwarze in Alabama in einem Bus auf einen für Weiße reservierten Sitzplatz gesetzt und damit bewusst gegen das seinerzeit noch vielerorts in den USA geltende rassistische Recht verstoßen und protestiert hat, wäre es in den USA nie zur Abschaffung des Prinzips der strikten Rassentrennung in den öffentlichen Einrichtungen gekommen.
„Trotzdem kann ziviler Ungehorsam im Einzelfall politisch durchaus legitim sein. Dies vor allem dann, wenn er strikt gewaltfrei und in der erkennbaren politischen Absicht geleistet wird, der Öffentlichkeit und den Gesetzgebern die Augen für die angeprangerte Fehlentwicklung zu öffnen.“
Rupert von Plottnitz
Würden Sie sagen, der Klimawandel und das zögerliche Handeln der Politik in dieser Frage, rechtfertigen zivilen Ungehorsam?
Von Plottnitz: Man muss kein Klimaforscher sein, um zu wissen, dass der fortschreitende Klimawandel dabei ist, ein existenziell bedrohliches Ausmaß anzunehmen. Je mehr er trotzdem geleugnet wird und je untauglicher die politischen Maßnahmen, mit denen er unter Kontrolle gebracht werden soll, desto mehr Verständnis wird man für diejenigen aufbringen müssen, die davon ausgehen, dass auch Aktionen des zivilen Ungehorsams zu den Mitteln und Möglichkeiten gehören, mit denen Parlamente und Regierungen wachgerüttelt werden können.
Was würden Sie den Bewegungen Fridays for Future und Letzte Generation heute raten?
Von Plottnitz: Ziviler Ungehorsam kann als politisches Warnzeichen produktiv und legitim sein. Als Vehikel umfassender politischer Veränderungen, wie sie in der Frage des Klimawandels notwendig sind, dürfte er in der Demokratie allerdings bald an seine Grenzen stoßen. Dafür braucht es nicht nur außerparlamentarisch, sondern auch und gerade in den Parlamenten der Republik demokratische Mehrheiten und Bürgerinnen und Bürger, die auch im Diesseits von Aktionen des zivilen Ungehorsams willens und dazu in der Lage sind, mit ihrer Stimme für solche Mehrheiten zu sorgen.