Neues Arbeiten im digitalen Wandel
Warum sie auch dieses Jahr zu den After-Work-Gesprächen gekommen ist? „Ich nehme immer viel mit“, sagte eine Teilnehmerin bei der Auftaktveranstaltung im Bildungszentrum Erbacher Hof in Mainz. „Es tut gut, sich mit Kolleginnen und Kollegen über den eigenen Betrieb und die eigene Branche hinweg auszutauschen“, ergänzte eine weitere Teilnehmerin. Zumal die Themen immer aktuell und für die Arbeitswelt bedeutsam seien.
Das ist auch das Ziel, wie Hans-Georg Orthlauf-Blooß von der Arbeitnehmer/innen- und Betriebsseelsorge im Bistum Mainz betont. Außer ihm begrüßten Susanne Wagner, Geschäftsführerin des DGB in der Region Rheinhessen-Nahe, und Heike Miehe vom Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung (ZGV) der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen Unternehmen und Bereichen der kirchlichen Arbeit. Seit 2015 bieten DGB, ZGV und Betriebsseelsorge gemeinsam die „After-Work-Gespräche“ für Arbeitnehmervertreter(innen) und andere Interessierte an. Immer um 17.30 Uhr für etwa zwei Stunden – für viele eine günstige Zeit, um vom Job auf Familienzeit und Freizeit „umzuschalten“.
Der Gesprächsstoff lag auch diesmal „in der Luft“
In vielen Firmen hat die Corona-Pandemie die Entwicklung des digitalen Arbeitens rasant beschleunigt. Andere haben die darin liegenden Chancen erst „notgedrungen“ entdeckt. Home-Office und Video-Konferenzen waren mancherorts geübt, in anderen Bereichen dienten sie eher als Notlösungen zur Krisenbewältigung. Sicher ist: Die Digitalisierung des Arbeitslebens lässt sich nicht aufhalten. Aber: Dieses „neue Arbeiten“ muss gestaltet werden. Nicht zuletzt um des sozialen Miteinanders willen – ohne das kein Betrieb funktioniert, wie die Theologin und Organisationsentwicklerin Claudia Orthlauf-Blooß deutlich machte.
Für das Miteinander-Arbeiten lässt sich vieles regeln – beispielsweise die Strukturen von Meetings, der Informationsfluss im Betrieb oder die Kommunikationsstrukturen zwischen den Hierarchie-Ebenen. Doch neben dieser formalen Seite gibt es eben auch den Informationsfluss am Kaffeeautomaten, in gemeinsamen Mittagspausen oder bei Freizeitaktivitäten. Den Austausch bei Betriebsfeiern. Die Geburtstags- und Jubiläumskultur, die sich mit der Zeit entwickelt hat. Ohne dieses informale Miteinander funktioniert kein Betrieb – regeln lässt es sich aber kaum. „Davon erfährt man nichts im Bewerbungsgespräch oder am ersten Arbeitstag. Das kriegt man mit, wenn man dabei ist“, so Claudia Orthlauf-Blooß.
Ein Gefühl der sozialen Verbundenheit entwickeln
Das Arbeiten unter Corona-Bedingungen habe gezeigt, dass vor allem neue Mitarbeitende sich nicht eingebunden fühlten, weil diese „informelle Schiene“ fehlte. Nicht nur, dass sich die Einarbeitung neuer Kolleginnen und Kollegen, speziell von Auszubildenden, ohne persönliche Begegnung schwierig gestaltet: Ein Gefühl sozialer Verbundenheit entwickelt sich bei Online-Meetings nicht so unkompliziert wie bei Treffen in der Kaffeeküche oder in der Kantine. Die Stimmung der Gesprächspartner, eventuelle Probleme und Krisen von Kolleginnen und Kollegen sind eher wahrnehmbar, wenn man sich gemeinsam in einem Raum befindet.
Über Praxiserfahrungen im Unternehmen berichtete Wolfgang Heinrich, ehemaliger Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Schott AG. „Ein global agierendes Unternehmen, in dem man sich fühlt wie in einem Familienunternehmen“, beschreibt er die Firma, die mehr als 17000 Mitarbeitende in 33 Ländern beschäftigt. Kaum verwunderlich, dass man die Potenziale digitaler Arbeit hier schon länger gesehen und genutzt hat. Daher, sagt Heinrich, sei man für die Herausforderungen durch die Pandemie vergleichsweise gut ausgestattet gewesen.
Auch für ihn ist klar: „Homeoffice und hybrides Arbeiten werden fester Bestandteil der Arbeitswelt bleiben.“ Offenheit und Flexibilität seien wesentlich, um auf die Änderungen zu reagieren. Klar ist für ihn aber auch: „Wir Menschen brauchen einander.“ Deshalb müsse bewusst Raum für persönliche Begegnungen und für Emotionen geschaffen werden – das dürfe im Arbeitsalltag nicht untergehen.
Angeregt und unterstützt durch die Personalführung, sei in der Corona-Zeit eine Vielfalt von Möglichkeiten für Schott-Mitarbeitende geschaffen worden. So gab es die unterschiedlichsten virtuellen Meetings ohne Business-Themen: Virtuelle Kaffee- oder Mittagspausen oder virtuelle Weinproben dienten dazu, persönliche Beziehungen aufzubauen. Team-Challenges mit unterschiedlichsten Themen – vom schönsten Urlaubsbild bis zum Lieblingscocktail sollten den Teamaustausch stärken. Bei virtuellen Sportwettbewerben traten gemischte internationale Teams von Schott-Standorten gegeneinander an.
Um die Arbeitswelt und das soziale Miteinander in Unternehmen auch in Zeiten der Digitalisierung und zunehmender mobiler Arbeit kreativ zu gestalten, geht es nicht ohne gezielte Arbeit an der Organisation. Dies hatte Claudia Orthlauf-Blooß in ihrem Referat bereits deutlich gemacht. Was soll und muss sich verändern, was ist es wert, erhalten zu werden? Wieviel Flexibilität ist möglich und nötig, wieviel Verbindlichkeit braucht es – etwa bei der Gestaltung von Homeoffice-Zeiten? Braucht es einen Tag, an dem alle im Betrieb sind? Welche Raumkonzepte sind sinnvoll? Das sind nur einige der Fragen, die es zu klären gilt – wobei es auf eine kontinuierliche Kommunikation ankommt.
Die Kommunikation beim After-Work-Gespräch im Erbacher Hof kam jedenfalls gut in Fluss. Schnell entwickelte sich an den Tischen ein lebhafter Austausch über die unterschiedlichen Erfahrungen. Gut, dass die Organisatoren dafür reichlich Zeit eingeplant hatten.
von Maria Weißenberger