Es geht darum gut zuzuhören und zum Dialog aufzufordern.
von Dr. Julia Dinkel, Referat Arbeit und Soziales im ZGV
Vermutlich sind die Erwartungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft viel zu hoch. Denn wie soll es in den nächsten sechs Monaten gelingen, Antworten auf die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie zu geben? Zumal zeitgleich die Corona-Pandemie wie unter einem Brennglas deutlich zeigt, was schon länger im Haus Europa schief läuft und bisher unter den Teppich gekehrt wurde.
Denn seien wir mal ehrlich, dass die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten bröckelt, wissen wir nicht erst seit dem Ausbruch der Corona - Pandemie. Es zeigte sich schon vorher bei Themen wie der Asylpolitik oder bei den Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU. Wir konnten auch zumindest ahnen, dass die Freiheit Dienstleistungen überall in der EU anzubieten und das Lohngefälle innerhalb der EU ausgenutzt werden, um Menschen z.B. als Erntehelfer*innen oder Mitarbeiter*innen in Fleischfabriken auszubeuten.
Auch dass wirtschaftliche Interessen in der EU mehr Gehör finden als soziale und ökologische, ist nicht wirklich neu. Bei Themen wie Liefer-und Wertschöpfungsketten, Rechtsstaatlichkeit oder der Bekämpfung Jugendarbeitslosigkeit zeigen sich ebenfalls Risse am Fundament des Haus Europa, von den Folgen des Brexit ganz zu schweigen. Die Palette an Themen, die diskutiert und entschlossen bearbeitet werden wollen, ließe sich fortführen und ist lang. Wie soll eine deutsche EU-Ratspräsidentschaft in den nächsten sechs Monaten all diese Themen auf die Agenda setzen und zumindest versuchen Lösungen zu finden?
Es geht nur gemeinsam vorwärts
Die Mittel einer EU- Ratspräsidentschaft sind begrenzt. Es kann die Agenda mitbestimmt werden und durch Vorbereitung und Leitung der Sitzungen versucht werden, Einfluss auf den Verhandlungsprozess zu nehmen. Es geht darum gut zuzuhören und zum Dialog aufzufordern. Denn auch eine deutsche EU-Ratspräsidentschaft kann alleine nichts entscheiden, es geht nur gemeinsam vorwärts in der EU.Das Motto der deutschen EU-Ratspräsidentschaft „Gemeinsam. Europa wieder stark machen“ macht dies deutlich. Eigentlich sollte dieses „Gemeinsam“ in der EU eine Selbstverständlichkeit sein. Denn mit dem Eintritt in die EU entschließt man sich bewusst dazu, ein gemeinsames, kollektives Handeln gegenüber nationalen Alleingängen vorzuziehen, auch wenn Alleingänge kurzfristig erfolgsversprechender erscheinen mögen. Es ist daher bedauerlich, dass zumindest am Anfang der Pandemie von einem gemeinsamen Handeln innerhalb der EU nicht die Rede sein konnte. Denn eigentlich sollte es in der EU nur noch darum gehen festzulegen, wie dieses gemeinsame Handeln aussehen soll und nicht ob man gemeinsam handelt.
Zum gemeinsamen Handeln mag es unterschiedliche Vorstellungen geben und es ist Aufgabe der Institutionen der EU, dieses gemeinsame Handeln zu koordinieren und Kompromisse zu finden. Diese Aufgabe fällt nun im nächsten halben Jahr auch Deutschland als EU-Ratspräsidentschaft mit zu. Es wird nicht leicht werden, alle Mitgliedstaaten wieder zu einem gemeinsamen Handeln zu bewegen. Denn die Pandemie hat die Bevölkerungen in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten unterschiedlich getroffen. Wirtschaftliche Auswirkungen spüren alle EU-Mitgliedsstaaten, aber die Grundvoraussetzungen mit denen sie die Folgen der Pandemie bekämpfen können, sind ungleich und in einigen Mitgliedsstaaten ist der Unmut über mangelnde Solidarität groß. Wenn es unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gelingt das Gemeinsame wieder zu stärken, dann ist dies eine gute Nachricht für das Haus Europa.