18.08.2017
Erwerbslosigkeit
500 Jahre Reformation
Am 28. Februar 2017 um 11.00 Uhr bat Martin Luther den lieben Gott um ein Gespräch. „Vater“ sagte er, „vor 500 Jahren habe ich meine Thesen veröffentlicht. Du weist besser als ich, was danach alles geschehen ist. In diesem Jahr feiern die Menschen vor allem in Deutschland das 500 jährige Jubiläum, und ich würde allzu gerne wissen, was da so los ist. Bitte gewähre mir die Bitte, wenigstens für ein paar Stunden dort unter die Menschen zu gehen.“ Der liebe Gott schmunzelte, überlegte kurz, schmunzelte noch einmal und antwortete: „Ja, Martin, ich will Dir deinen Wunsch erfüllen. Für 12 Stunden sollst Du die Menschen besuchen, jederzeit darfst Du aber auch früher zurückkehren. Nimm diese Nadel, dort ist der Globus und steche an einer Stelle in Deutschland ein, dort sollst Du unter den Menschen sein.“ Luther nahm die Nadel….
Fast genau um 12 Uhr mittags sitzt plötzlich ein etwa 60-jähriger Mann in einem schwarzen Mantel im Arbeitslosencafé der Arbeitsloseninitiative Gießen. Er hat ein etwas aufgedunsenes Gesicht und sieht etwas krank aus, schaut aber mit wachen Augen umher und beobachtet, wie die Menschen um einen großen Tisch herum sitzen und sich bei Kaffee, belegten Brötchen und Kuchen teils angeregt unterhalten oder lesend in einer Zeitung vertieft ihren Kaffee genießen.
Da spricht ihn auch schon ein älterer Mann an und fragt:
„Bist Du neu hier im Projekt und hast Du auch einen Ein-Euro-Job?“
Luther fragt zurück:
„Einen Ein-Euro-Job, was ist das denn?“
Älterer Mann:
„Na, das ist ein Angebot für Arbeitslose hier für 1 Euro die Stunde 30 Stunden in der Woche in einem der verschiedenen Bereiche mitzuarbeiten. Allerdings ist dies ein Angebot, das Du nicht ablehnen kannst, da sonst Dein Arbeitslosengeld gekürzt wird. Aber hier ist das ganz okay. Du kommst unter Leuten und kannst Dir aussuchen was Du machen möchtest, auch wird hier viel kreativ gearbeitet, da kann man echt was lernen.“
Luther: „Arbeiten ist wichtig, arbeiten ist Gottesdienst im Alltag.“
Älterer Mann:
„Wie meinst Du das? Willst Du mich veräppeln? Was bist Du denn für ein Heiliger?“
Luther:
„Ein Schuster, ein Schmied, ein Bauer, ein jeder hat seines Handwerks Amt und Werk, und doch sind alle gleichermaßen geweihte Priester und Bischöfe. Und ein jeder soll mit seinem Amt oder Werk den anderen nützlich und dienstbar sein, so dass vielerlei Werke alle auf eine Gemeinde gerichtet sind, Leib und Seele zu fördern, gleichwie die Gliedmaßen des Körpers alle eines dem anderen dienen.“ (Luther lesen S. 37 „Wert der Arbeit“)
Älterer Mann:
„Du bist ja wirklich seltsam. Redest von alten Berufen, die es entweder nicht mehr gibt oder heute jedenfalls kaum noch eine Bedeutung haben. Scheinst irgendwie aus einer anderen Zeit zu sein und ziemlich religiös. Aber das Bild, dass jeder mit seinen Fähigkeiten etwas Gutes für die Gemeinschaft beitragen kann und sollte, das gefällt mir gut. Nur werden heute leider nicht mehr alle auf dem Arbeitsmarkt gebraucht. Ich zum Beispiel bin wegen meines kaputten Rückens arbeitslos geworden. Damit konnte ich als Bauarbeiter nicht mehr arbeiten und mittlerweile bin ich mit meinen 58 Jahren für den Arbeitsmarkt zu alt und froh, hier im Café für ein paar Stunden in der Woche mitarbeiten zu können.“
Luther:
Arbeiten wollen und nicht dürfen, das ist mir neu. Ich dachte eher, „alle Menschen verlangen nach einem müßigen Leben. Die höchste Anfechtung in der Welt ist es, dass niemand getreu seinem Beruf nachgeht, sondern alle möchten gern ein müßiges Leben führen. Ich selbst bin schon ganz erschöpft, und werde voller Sorgen von vielen Aufgaben geplagt. Andere gehen müßig und wollen nichts tun. Ich bin der Meinung, wenn wir' s nicht gezwungen tun müssten, so täten wir' s auch nicht.“ (Tischreden 722, Seite 262)
Älterer Mann:
„Ja, so denken die meisten Menschen. Dies ist mit ein Hauptargument gegen die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens, das einige Politiker und Erwerbslose heute fordern. Die Angst, dass dann viele gar nicht mehr arbeiten würden ist groß. Dabei könnte ein solches Grundeinkommen vielleicht helfen, einige Fragen der Zukunft unseres Sozialversicherungssystems zu beantworten. Auch wären damit einige Menschen zum ersten Mal in ihrem Leben frei zu wählen, was sie wirklich machen wollen. Ich zum Beispiel denke, dass sich viele gesellschaftlich engagieren würden, sei es im kulturellen oder sozialen Bereich. Die zu starke Orientierung und Bewertung der Erwerbsarbeit ist manchmal auch zerstörerisch. Denn nicht jede Erwerbsarbeit ist heute gesellschaftlich notwendig oder nützlich. Trotzdem werden Menschen, die zum Beispiel in der Rüstungsindustrie arbeiten oder sich in der Werbebranche schicke Zigaretten- oder Alkoholwerbung ausdenken, obwohl jeder weiß, wie gesundheitsschädlich dieses Zeug ist, heute mehr wertgeschätzt und anerkannt als arbeitslose Menschen. Diese werden eher skeptisch angesehen und sind Vorurteilen ausgesetzt, wie z.B. sich als Faulenzer einen schönen Lenz zu machen. Wie Du es ja auch gerade angedeutet hast. Aber ist es nicht manchmal besser für die Umwelt und für die Menschen, wenn manche Sachen nicht produziert oder beworben werden und man dafür mehr Zeit hat, sich um seine Mitmenschen zu kümmern oder einfach einmal nichts zu tun? Das müsste Dir als religiösen Menschen doch auch gut gefallen?
Luther:
„Werke machen nicht gerecht. Dass Werke nicht das Leben, die Gnade und das Heil verdienen können, liegt auf der Hand. Denn die Werke sind nicht von geistlicher Geburt, sondern sie sind die Frucht eben dieser Geburt selbst. Nicht durch die Werke werden wir zu Söhnen, Erben, gerecht, heilig und zu Christen gemacht, sondern dazu bereits gemacht, geboren und geschaffen, vollbringen wir solche Werke. Folglich müssen wir vor Vollbringung guter Werke bereits Leben, Heil, Gnade besitzen. Ebenso wird ein Baum nicht erst zu einem Baum durch seine Früchte, sondern er wird als Baum gepflanzt und trägt dann Früchte. Weil wir durch das Wort der Gnade zu Gerechten geboren, geschaffen und erzeugt werden, werden wir also nicht durch Gesetz und Werke geschaffen, bereitet und gegründet.“ (Tischreden 200, S.27)
Älterer Mann:
„Na ja, so ganz werde ich aus Dir nicht schlau. Aber, wenn ich ein wenig nachdenke, hast Du doch damit einige meiner Gedanken bestätigt. Wenn auch wieder auf deine religiöse Art auf Gott und Gottes Gnade bezogen. Doch wenn ich das auf unsere Gesellschaft und Wirtschaft heute beziehe, könnte es übersetzt vielleicht heißen, alle Menschen sollten voraussetzungslos, d.h. unabhängig von ihrer ökonomischen Verwertbarkeit Anerkennung und Wertschätzung erhalten. Damit wäre der Schritt zu einem bedingungslosen Grundeinkommen vielleicht gar nicht mehr so weit. Aber wirklich, Du bist nur sehr schwer zu verstehen, ich glaube wirklich Du kommst aus einer anderen Welt. Oder tust Du nur so?“
Es entsteht eine Pause, dann geht mit einem Mal ein Blitz der Erkenntnis über sein Gesicht, und er ruft laut in den Raum: „Hört mal, Leute, hier ist einer von der Truppe von der Käßmann. Er spielt den Luther. Er macht das super. Echt stark. – He, eben war er doch noch da, wo ist er jetzt hin?“ Ein wenig später steht Luther atemlos vor dem lieben Gott: „Stell Dir vor, die haben mich zu einem Schauspieler gemacht.“
Marion Schick, Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung, Referat Arbeit & Soziales
Zitate aus:
„Luther lesen. Die zentralen Texte.“ Bearbeitet und kommentiert von Martin H. Jung. Herausgegeben vom Amt der VELKD, Göttingen 2017
Martin Luther Tischreden, vierte Auflage 1983, herausgegeben von Kurt Aland, Göttingen 1991
Literaturtipps
• „Arbeit aus Berufung“, KWA Themenheft zum Reformationsjubiläum 2017
• Dietz, Alexander „Hartz IV und Vorurteile aus theologischer Perspektive“ in „Armut und Ausgrenzung überwinden“, Impulse aus Theologie, Kirche und Diakonie, Hrsg.: Alexander Dietz / Stefan Gillich, Ev. Verlagsanstalt GmbH, Leipzig, 2016