26.04.2017
Betriebsbesuche
Handwerk ist heute mehr als Sparren verlegen und Ziegel festklopfen
Schwindelfrei sein musste man beim ersten Betriebsbesuch der Reihe „Wir machen Türen auf“ der Evangelischen Dekanate in Südhessen. Organisiert hatte diesen Besuch Ingo Mörl, Bildungsreferent im Evangelischen Dekanat Darmstadt-Land. Auf dem Programm stand der Dachdeckerbetrieb Bärens Kramer Bedachungs GmbH im Fischbachtal. Dessen Großbaustelle an der einstigen Prachtstraße im Rhönring in Darmstadt war der Start des Besuchs, der in diesem Jahr das Thema „Nachhaltig bauen“ hat. So wurde das Thema sozusagen vom Kopf herangegangen. Hoch über den Dächern der denkmalgeschützten Häuserzeile des Bauvereins wurde diskutiert über die Möglichkeiten des sozialen Wohnungsbaus, der Verantwortung von Kommunen und dem Beitrag, den das Handwerk leisten kann zwischen Kostendruck, Denkmalschutz und verantwortungsvollem Umgang mit Material und Bausubstanz. Und da spürte man: Handwerk ist heute mehr als Sparren verlegen und Ziegel eindecken. Dachdeckermeister Bärens schaut nicht nur vom Dach aus über den Tellerrand: für ihn sind Fragen des Wohnklimas, der Verwendung von umweltverträglichen Materialien bis hin zur nachhaltigen Entsorgung wichtig. Denn Nachhaltigkeit bedeutet ja auch, die verbrauchten Ressourcen wieder dem Abfallkreislauf zuzuführen.
Über den Tellerrand schaut Bärens auch beim Thema Mitarbeitende: Auch seine 18 Angestellten werden älter. „Ab 40 zwickt es in diesem körperlich anstrengenden Beruf.“ So muss er sich Gedanken machen zur gesundheitlichen Prävention und um Nachwuchs. „Wir bilden ganz bewusst aus, denn unser Beruf hat Zukunft.“ Jährlich zwei Auszubildende nimmt Bärens, meist aus der Region. Um für seinen Bereich zu werben besucht er die nahegelegene Albert-Einstein-Schule in Groß-Bieberau. Praktika sind der beste Einstieg, um jungen Menschen zu zeigen, was es bedeutet in seinem Betrieb zu arbeiten. Ein sehr guter Hauptschulabschluss oder Mittlere Reife sind aber Voraussetzung. Und natürlich die Bereitschaft zur Arbeit im Team. Weiterhin ist der Dachdeckermeisterbetrieb immer auf der Suche nach Fachpersonal.
Über den Tellerrand schaut Bärens auch an seiner Betriebsstätte vor Ort. Dort haben sich auf dem Firmengelände einige Gewerke angesiedelt. „So kann ich Häuslebauern gute Empfehlungen für den Hausbau geben.“ Wer baut gute Fenster? Wer fliest Balkone und Terrassen? Wer erledigt die Malerarbeiten? Beratung gelingt hier aus einer Hand. Anderes bietet sein Betrieb selbst, wie das handwerkliche Decken von Schieferplatten, wie sein Mitarbeiter eindrücklich demonstrierte.
Und die Zusammenarbeit mit anderen Handwerksbetrieben hat für ihn nun auch noch eine ganz andere Dimension angenommen: Zusammen mit dem Architekten Matthias Körbler will er in Mühltal für Studierende und Familien bezahlbaren Wohnraum schaffen, der heute zunehmend knapp wird. Dazu sollen auf einem naturnahen Gelände mit Dorfcharakter innovative Holzhäuser entstehen, die 300 Menschen nachhaltigen Lebensraum bieten. Mit Eigenstromproduktion aus Photovoltaik, Regenwasserzisternen, Waschsalon, Boulderhalle und Abstellboxen für (Elektro-) Fahrräder könnte der Neubau bald zum Vorzeigeprojekt moderner Wohnformen werden. Dabei lassen sich die Apartments auch zukünftigen Bedürfnissen anpassen und sind für altengerechtes Wohnen vorbereitet.
Das Projekt befindet sich momentan im Vorhaben-Erschliessungsplan-Verfahren, (VEP-Verfahren) das voraussichtlich Sommer diesen Jahres abgeschlossen sein wird. Bereits jetzt wurde das Projekt im Rahmen des Förderprogramms des Bundes „Förderprogramm für Modellvorhaben zum nachhaltigen und bezahlbaren Bau von Variowohnungen“ als herausragendes Modellvorhaben eingestuft und die maximale Förderhöhe des Programms in Aussicht gestellt. Durch die Teilnahme an dem Programm wird es möglich sein die loftartigen Kleinapartments für 280 Euro warm den Studenten zur Verfügung zu stellen.
Annette Claar Kreh, Referentin Gesellschaftliche Verantwortung im Ev. Dekanat Vorderer Odenwald