Wenn das warme Nest verloren geht
Höchst. „Zurzeit nicht vermittelbar“ hat der Fallmanager beim Arbeitsamt unter Klaus’ Akte geschrieben. „Dieser Zustand besteht nun seit fünf Jahren.“ Mit diesem Satz endet die autobiographische Notiz, die Klaus beim Seminar „Zu Gast in meinem Leben“ im Kloster Höchst zu Papier gebracht hat. Klaus ist, wie die 17 anderen Teilnehmer auch, erwerbslos, und er nimmt zusammen mit den anderen an diesem dreitägigen Kulturseminar teil, das die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) und die Katholische Arbeitslosen- und Betriebsseelsorge zusammen veranstalten, insgesamt bereits zum siebzehnten Mal.Nach Klaus berichtet Renate aus dem Behördendschungel, sie ist nach neun Jahren mit Formularen, falschen Eingruppierungen und, wie sie es empfindet, inkompetenten Beratern am Ende mit ihren Nerven; ihr Text legt davon eindrücklich Zeugnis ab. Unter die Haut gehen Titas „Wünsche an das Leben“: In wenigen Zeilen wird hier ein Lebensschicksal so scharf umrissen, dass es die Zuhörer, die zur Abschlusspräsentation gekommen sind, schmerzt.
In Gedichtform wiederum schreibt Monika von ihren Empfindungen: „Es war dunkel, es wurde schwarz/Das Lachen lauter, je größer der Schmerz.“ Aber schließlich schafft die „Flickerlpuppe“ – so der Titel ihres Gedichtes – den Perspektivwechsel: „Aus Dunkel wurde Hell, aus Schwarz wurde Farbe...“
„Es geht um Aufmerksamkeit, der Rest der Welt versteht nicht, was in den Menschen vorgeht“, sagt Ralf Weidner vom Referat Wirtschaft-Arbeit-Soziales der EKKW zum Hintergrund. Bei dem Kulturseminar in Höchst sind unterschiedliche Menschen aus ganz Hessen zusammengekommen, die eines verbindet: Sie sind, oftmals seit Jahren, erwerbslos, haben das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, nicht dazuzugehören, nicht einmal am Leben teilnehmen zu können. Und von anderen gemieden zu werden. Diese Erfahrung machen fast alle Menschen, die ihre Arbeit verlieren, weiß Marion Schick vom Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN.
Johanna beschreibt in ihrem Text das „warme Nest“, ihr Zuhause, das mit einemmal nicht mehr heimelig und nicht mehr warm ist, und schließlich kann sie es auch fast nicht mehr bezahlen. Ganz anders geht Hermann mit seiner Situation um: In seinem Text, zum Teil in Mundart geschrieben, blitzt immer wieder Humor auf; er versucht seiner Situation heitere Seiten abzugewinnen. Waltraud schließlich hat, wie aus Trotz und Protest, eigene Geldscheine gestaltet und hängt sie überall in ihrer Wohnung auf.
So unterschiedlich die Texte der Teilnehmer sind, so sind es auch die von ihnen gestalteten Bilder und Collagen, die zu den Texten gehören und diese auf ihre Weise illustrieren – wie auch die Texte umgekehrt den Bildern manche Facette hinzufügen.
Begleitet und angeleitet worden sind die Teilnehmer hierbei von den Künstlern Martina Bodenmüller und Holger Wilmesmeier.
Aus den kreativen Arbeiten wird nun eine Broschüre erstellt, die noch einmal das ganze, gebündelte Potential dieser Tage im Kloster Höchst vor Augen führen wird. Für alle zu sehen sein werden die Arbeiten in Kürze auch auf den Homepages des Zentrums Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN (www.zgv.info) sowie auf der Internetseite von Martina Bodenmüller (www.bunte-projekte.de Bernhard Bergmann in Evangelische Sonntagszeitung vom 04.10.2015 Die Flickerlpuppe Hörfunkbeitrag HR 4 (17.09.2015)